Illustrierte Geschichte des Orientalischen Krieges von 1876-1878. : mit 318 Illustrationen, Plänen, Porträts und zwei Karten

denn die kirhlihen Pfründen ſind zumeiſt ſehr theuer beziffert. So koſtete z. B. bis vor der Einſetzung der unabhängigen bulgariſchen Nationalkfirhe beiſpiel8weiſe die Patriarhenwürde für Donau-Bulgarien baare fünfundzwanzigtauſend Ducaten. Um ſi< da mitbewerben zu können, mußte man ſelbſtverſtändlih einer der reiſten fanariotiſchen (vornehm griechiſchen) Familien angehören, denn es bedurfte no< einer mindeſtens eben ſo bedeutenden Summe, um in dieſer Angelegenheit die einflußrei<ſten Beamten der Pforte zu beſtehen. Der Kaufſchilling war freili< auf ret fette Zinſen angelegt, veräußerte do< der Erſteher einerſeits die verſchiedenen Biſchofſibe wieder zu viertauſend Ducaten und organiſirte er andererſeits in ſeiner gläubigen Heerde die „Schaf{hur“ im großartigſten Style. Es ſichern eben die ſ<nöden Bedingungen, an welche die Erlangung des Patriarchenſtuhls (Oberbiſchofthums) und der Biſchofſivze in den Provinzen der europäiſchen Türkei geknüpft werden, dem „Fanar“ deren beinahe ausſ<hließlihes Monopol.

Unter den zahlreihen Biſchöfen Bulgariens zählte man kaum einzelne von bulgariſcher Nationalität. Die griechiſchen Biſhöfe verpahteten wieder ihrerſeits, um zu dem an den Patriarchen gezahlten Kaufpreis zu kommen, die Popenſtellen (Pfarren) ihrer Diöceſen; einzelne reihe Popen kauften deren dußendweiſe, um ſie wieder einzeln, natürlich mit Wucherzinſen zu verpahten — und ſo bildete die bulgariſche Rajah das Pacht- und Nuzungsgut des hohen griehiſhen Clerus, dieſer aber wurde ſein böſer Genius. i

Wie prächtig nahm ſi< dagegen die Rede des neuen Gouverneurs von Adrianopel, Mehemed Paſcha, aus, als derſelbe 1853 dort ankam und die Notabilitäten aller Religionen vor ſih< erſcheinen ließ. Zuerſt wandte er ſi< an die Rajahs, ſi< ihnen als ein Dolmetſcher des Vertrauens, das die Regierung in ſie ſete, darſtellend ; dann an die Muſelmänner, die er auf die Vor\<riften ihrer Religion verwies, welche ſagen: „Das Leben der Rajahs i Euer Leben, deren Güter Eure Güter, deren Ehre Eure Ehre!“ Dann fuhr er fort: „Wenn alſo ein einziges Haar vom Haupte eines Rajah fiele, eine einzige Nadel, welche ihm gehört, verloren ginge, wenn er von einem Worte, von einer Miene, von- einem Blicke ſelbſt zu leiden hätte, ſo würden wir darüber Rechenſchaft abzulegen haben, vor Gott! Jhr“ — ſo wendeteer ſi nun zu den anweſenden Geiſtlichen — „JFhr, die Jhr die Doctoren des Geſeßes ſeid, ſagt es ſelbſt: ſind das niht die Gebote unſeres Geſebes, ſind das nicht die Vorſchriften unſerer Religion ?“

4a, riefen ſie Alle, „ja, das ſind die Gebote des Geſeßes und die Vorſchriften der muſelmänniſchen Religion !“

„Nun alſo,“ fuhr Mehemed Paſcha fort,

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„dann iſt es für uns eine Pflicht, eine religiöſe Pflicht, die Rajahs zu ſ<üßen und zu lieben. Unſer Cultus iſ verſchieden; aber wenn, der Stimme ihres Gewiſſens gehorchend, während wir zur Moſchee gehen, die Chriſten ſi< zu ihrer Kirche, die Juden zu ihrer Synagoge ſi< verfügen, ſo ſind wir darum niht weniger Muſelmänner, Chriſten, Juden, aber treue Unterthanen, d, h. Kinder desſelben Oberherrn; wir ſind alſo Brüder, wir müſſen uns ehren und lieben als ſolche !“

Dem Gebahren des griechiſchen Clerus hatte der von den Soldſchreibern der Pforte verherrlichte „Hatti“ (faiſerlicher Befehl, vom Februar 1856) allerdings prompte und gründliche Abhilfe verſprochen, do< der „Fanar“ fand die beſten Mittel und Wege, den {ön ſtyliſirten Hatti zu umgehen.

Zudem iſt der niedere bulgariſche Clerus von craſſeſter Unwiſſenheit, die Kirchenfürſten bauen Tempel und ſind der Schule feind, wahre „geiſtliche Paſchas“. Während ſelbſt die Moslems Schulen bauten, traten die fanariotiſ<hen Sendlinge und Pfründenſchacherer, denen das geiſtige Wohl des Bulgarenvolkes anvertraut iſt, geradezu feindlich gegen den Schulbau auf. Es handelte ſi< da eben um ein neugriehiſ<hes Großmahtsprincip; es ſollte die a>erbauende und induſtrielle bulgariſche Maſſe, welche das weite Hinterland, ganz Thracien, Macedonien und Möſien bewohnt, beſtens gräciſirt — humorvoll: vergrie<t — werden. Weil aber deren nationale Zähigkeit dieſen Proceß bis dahin nur wenig begünſtigte, ſollten die Bulgaren in größtmögliher Verkommenheit und Unwiſſenheit gehalten werden.

Nehmen wir nur das eine Beiſpiel, wie die fanariotiſhen Biſchöfe au< die von ihnen nah dem Wortlaute „gepachteten“ Heerden zu untergraben ſuchten: das Verfahren dieſes Clerus bei Cheſcheidungen. Um ſolche herbeizuführen, wurden Mißhelligkeiten zwiſchen Eheleuten reicher Familien von den biſchöflihen Richtern am liebſten bis zum Trennungsproceſſe geſteigert, und war dieſer einmal in Gang gebracht, ſo bot derſelbe eine lange, lange nit verſiegende Quelle von Sporteln und Taxen für den Biſchof aus dem „Fanar“; denn beſtehende und niht beſtehende Kirchengeſete, Erläſſe aus Conſtantinopel, allerhand Rechtskuiffe wurden zu den ausgiebigſten Schröpfföpfen, welche man den Parteien bis zur gänzlichen finanziellen Erſchöpfung anſebte.

Es war unter ſolhen Umſtänden der tiefe Haß der Bulgaren gegen ihre fanariotiſhen Seelſorger, eigentli<h „Seelenverderber“, vollkommen begreiflih und die tiefgehenden Bewegungen gegen den „Fanar“ von den Jahren 1860 und 1872 finden leiht ihre Erklärung. Endlich ſiegten doh die Bulgaren über ihre fanariotiſhe Cleriſei und den Bedrü>ungen wurde dur< Einſetzung der bulgariſ<hen Nationalkirhe der lette Boden entzogen.