Illustrierte Geschichte des Orientalischen Krieges von 1876-1878. : mit 318 Illustrationen, Plänen, Porträts und zwei Karten

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zurüjagen, daß es mißhandelte Chriſten dem Schwerte ihres Unterdrü>ers - hätte ausliefern follen? Das wäre èine Verleßung der Geſittung und der Menſchenfreundlichkeit, das wäre eine des Kaiſerſtaates unwürdige Handlungsweiſe geweſen.

Es war daher leicht zu begreifen, daß die Pforte es aus dieſen Anläſſen niht an ernſten Beſchwerden fehlen ließ und dur< Vermittelung einer befreundeten Macht die Aufmerkſamkeit des Grafen And raſſy auf die Zuſtände in Dalmatien gelenkt wurde. Der Miniſter des Aeußeren fonnte einen ſolhen Wink niht unbeachtet laſſen und in Folge deſſen verlautete von einem lehbhaften Notenwe<hſel zwiſchen dem Erſteren und den beiden Generalen.

Mittlerweile hatte der außerordentliche Pfortencommiſſär Ali Paſcha ſeine friedlihen Bemühungen fortgeſetzt, die Jnſurçc*nten zur Waffenſtre>ung und Unterwerfung zu bewegen, auh waren die für die gemiſchten Commiſſionen ernannten Präſidenten nach ihren Beſtimmungsorten abgereiſt, mit dex verſprochenen allgemeinen Amneſtie verſehen, welche allen Fnſurgenten-Chefs dur<h eigene chriſtliche Beamte überſchi>t wurde; im Gegenſatz zu dieſen Beſtrebungen ſtand jedo< eine „Proclamation der <riſtlihen Bevölkerung in Bosnien an die mohammedaniſchen Brüder“, welche mit der Aufforderung ſ{loß, entweder im Kampfe gegen die Ottomanen beizuſtehen oder ſih wenigſtens neutral zu verhalten.

Dieſe Proclamation der Rajahs an die Mohammedaner übte keine Wirkung, im Gegentheile begannen die Lebteren, eigene Legionen zu bilden, die ſelbſtgewählte Chefs hatten. Die Jslamiten betheuerten in einer Adreſſe an den Großvezier, ſie wollten bis zum leßten Blutstropfen kämpfen. Auch in Bulgarien lief eine Petition an den Sultan herum, in welcher gegen die Ausſcließung der Chriſten von der Leiſtung der Militärpfliht proteſtirt und dieſer Aus\chluß als ein den Bulgaren zugefügtes Unrecht, als eine Shmälerung des Rechtes, Waffen zu tragen, dargeſtellt wurde. Es wurde ferner betont, daß die Bulgaren ſtets loyale Unterthanen der glorreihen Sultane geweſen; ſie ſeien bereit, den Asker (Soldaten) der Armee ihres geheiligten Herrſchers zu liefern, den Bedel (Militärſteuer) ſeien ſie ohnehin wegen ihrer großen Armuth niht im Stande zu entrichten.

Auf der Jnſel Candia brachen ebenfalls auf mehreren Punkten kleinere Bewegungen aus. Jn Conſtantinopel liefen allerlei Gerüchte über die Wahrſcheinlichkeit des Sturzes Mahmud Paſchas, hervorgerufen dur< die abermalige Ernennung Riza Paſchas zum Seraskier (Kriegsminiſter), ſo wie der Unterordnung des von Derwiſch Paſcha geleiteten Marine-Miniſteriums unter des Vorigen Oberleitung, Maßregeln, die der eigenen Willen8meinung des

Sultans entſprangen und geradezu gegen die Abſicht Mahmud's erfolgten.

Troß dex ſo pomphaft angekündigten Reformen herrſhten in Bosnien Zuſtände, welche an die \{limmſten Tage zu erinnern vermochten. Hier zwei Beiſpiele :

Zwei angeſehene Chriſten aus Krupa wurden mit einem türkiſhen Beſuche beehrt. Nach den erſten üblichen Begrüßungen rü>ten die ungebetenen Gäſte mit der Forderung heraus, dex „Rajahmenſ<h“ ſolle ſein Geld den Gläubigen übergeben. Der betreffende Serbe {wor beim heiligen Kreuz, daß ex gar kein Geld habe. Die Mohammedaner ſagten: „Gut, wix werden ja gleih ſehen.“ Auf einen Pfiff kamen zehn Henkersknechte herbei, ergriffen den „Gasda“, ſ{leppten ihn in den Hof hinaus und hängten ihn an einem Pflaumenbaume bei den Füßen auf. Darauf begann folgende Procedur: Alle fünf Minuten begoß man den Unglülihen mit Waſſer, das raſh an den Kleidern, am Kopfe und im Geſichte zuſammenfror. Darauf rieb man mit einem Lappen die Eisſtücke ab und übergoß abermals den Hängenden mit Waſſer. Der „Rebelle“ — ſo nennen die Türken alle Serben in Bosnien war ſomit gezwungen entweder den lebten „weißen Kreuzer“, den er (wie: er ſi< in einer Redensart ausdrü>t) „für die traurige {warze Zeit“ zurü>behielt, wegzugeben oder er hauchte ſeinen Geiſt aus. Jn Krupa endigte der eine Fall mit gänzlicher Beraubung, der anderé dagegen mit dem martervollen Tode des Ueberfallenen.

Die zweite Thatſache trug ſi<h in Jablanzi zu. Aſſan Aga, der Allmächtige des Ortes, vermuthete, es habe der Knes (Gemeindevorſteher) Dawidowitſ< irgendwo Geld verſte>t. Eines \hönen Tages rief er ihn zu ſi< und ſagte zu ihm: „Cwe! Du biſt ein Rebelle, der Galgen iſt Dix ſicher, das ſ{<hwöre i< Dir bei meinemBarte. Fh will Dich aber noc leben laſſen, bringe mix jedo<h dafür vierzig Ducaten.“ — Alles Betheuern, daß er weder Rebelle ſei, noch überhaupt je ſi< einer Untreue gegen den Sultan ſchuldig gemacht habe, fruchtete niht. Dawid owitſ<, ließ ſi< endlih herbei, fünf Ducaten zu geben, welche ſein ganzes Vermögen ausmahten. Der edle Aſſan ging auf dieſe Summe nicht ein und ſo wanderte der Gemeindevorſtand in's Gefängniß, wo er täglih zweimal geknutet wurde. Am dritten Tage entließ man den wiederholt Gepeitſhten, na<hdem er zehn Ducaten erlegt hatte. Solche Dinge, die man in Europa kaum für mögli halten fonnte, trugen ſi< tägli< in allen Gegenden Bosniens zu.

Die feierlihe Stunde war gekommen; die Reformnote Grafen Andraſſy, - ohne Zweifel eines der wichtigſten Actenſtücke, welche dem Cabinete dieſes Miniſters bisher entſprungen, gelangte endli<h an ſeine Adreſſe und wurde am

Des