Illustrierte Geschichte des Orientalischen Krieges von 1876-1878. : mit 318 Illustrationen, Plänen, Porträts und zwei Karten

dem Einmarſche der Türken in ihr Gebiet gedroht. ! Oeſterreichiſcherſeits war die Reiſe des Statt-

halters von Dalmatien in die Schwarzen Berge von großer Bedeutung und wir werden alsbald eingehender über dieſelbe ſprechen.

Der ruſſiſhe Hauptdiplomat in Conſtantinopel.

Rußland zeigte ſi< niht minder befliſſen, eine, den mehr adminiſtrativen Schritten Oeſterrei<h-Ungarns gleihlaufende diplomatiſche Thätigfeit zu entfalten, wobei es freilih geſ<ah, daß die óffentlihe Meinung in Europa die ruſſiſche Regierung oder doh ihre Organe einer gewiſſen Doppelzüngigkeit und Zweideutigkeit beſchuldigte ; troß dem Aufgebote aller amtlihen Beſhwichtigungen fam es nicht dahin, dem Verdachte zu entſagen, der ſi< insbeſondere an die Sohlen des ruſſiſhen Botſchafters bei der Pforte, des Generals Fgnatieff, heſtete, welher Gegenſtand des allgemeinen Argwohnes in den Augen Europas war.

Bekanntlich trachteten die europäiſhen Regierungen von jeher, nah dem Siß der Nachfolger der Khalifen die geſhi>teſten und gewandteſten Diplomaten als ihre Vertreter zu entſenden. So wenig culturfähig die türkiſhe Race iſt und ſo ſehr ſie ihre Unfähigkeit auf allen Gebieten des menſhli<hen Wiſſens und Könnens YJahrhunderte hindur< bekundete, ſo war es doh Thatſache, daß den Ottomanen es niemals an gewiegten und geriebenen Diplomaten gefehlt hat. Um den Effendis (Kanzlern, re<tsgelehrten Auslegern der Geſeße) auf ihrem ſozuſagen natürlichen Wirkungsfelde beikommen und dieſelben aus allen wohlbefeſtigten Poſitionen verdrängen zu können, mußten die <riſtlihen Mächte ſtets darauf bedacht ſein, die beſten unter ihren Politikern, die ſhlaueſten, die pfiffigſten zu Repräſentanten bei der Hohen Pforte zu ernennen. Ganz beſondere Fürſorge widmeten ſtets die Czaren der Wahl ihrer Geſandten bei dem Suſltan-Khan. Von Graf Gregor Stroganoff (1821) an bis auf Jgnatieff (ſeit 1865) zeihneten ſih die Vertreter des Petersburger Hofes ſtets durch jene außerordentlihe Geſchi>lichkeit, Beredtſamkeit, Beweglichkeit und Operationstüchtigkeit aus, die Rußlands Jntereſſen am Goldenen Horn oft genug auf eine für Europa faſt unbegreifliche Weiſe zum Siege, den ruſſiſhen Plänen zum Triumphe verhalfen. Ein lebendiges und überdies ſogar ſehr lehrreiches Beiſpiel bot der Botſchafter des Kaiſers aller Reußen.

Wie General Fgnatieff emporgekommen, iſt ſ<wer zu ſagen, es trug ihn das Glü> und bekanntli<h verſhmäht Frau Fortuna nict ſelten die geraden Wege, um ihre Günſtlinge in Schne>enwindungen dur die Welt zu tragen. Geboren im Y.

Zimmermann, Geſch. des orient. Krieges.

1829 als Sohn eines aus dem Kleinadel ‘hervorgegangenen General-Adjutanten des Czaren Nikolaus, hatte er im Fahre 1854 es bis zum Stahscapitain gebra<ht. Aus dieſer Raſtſtelle ſeines Schiſalslaufes hätte man kaum ein Genie herausfinden fönnen, iſt es doh niht das mindeſte Große, daß junge Herren der ruſſiſhen Ariſtofratie in der Wende der Jugend mit den Hauptmanns-Epauletten herumſtolziren. Wirklih beſtand au< das ganze Verdienſt des Capitains Fgnatieff einzig und allein in dem Bewußtſein, eine Kaſerne von Reval bewohnt zu haben, während die engliſh-franzöſiſhe Flotte vergeblich auf die finniſhe Küſte losknallte, um dem Krimkriege einen etwas poſſenhaften Hintergrund zu verleihen, und wie Napier's „Jungen“ umſonſt „die Meſſer wetten“, ohne mit denſelben irgend eine That zu vollbringen, ſo raſſelte Jg natieff lärmend mit dem Säbel dur< die ſ{hmußigen Gaſſen von Reval, ohne eine Kugel pfeifen zu hören. ; Nichtsdeſtoweniger war ex bereits im Jahre 1858 General, welhe Auszeihnung er ſi< in Peking auf die unblutigſte Art verdient hatte, indem man ihn dem General Murawieff beigab, welcher als Gouverneur von Oſt-Sibirien um den Erwerb des Amur-Gebietes mit China

“feilſhte. Alle Verhandlungen gingen jedo< in

die Brüche, bis der engliſh-franzöſiſhe Krieg mit dem Himmliſchen Reiche ausbra<h. Da war denn Jgnatieff wie ein Pfeil zur Stelle, eilte raſ< zu dem bedrängten Herrſcher der Chineſen, Hienfung (ſpri<h -Hanfung, bedeutend „vollkommene Glüſeligkeit“), na< Peking, ſpiegelte ihm die Unterſtüßung des Czaren vor und erwirkte bei dieſer Gelegenheit die Abtretung eines großen Theiles der Mandſchurei an Rußland.

__ eßt war er mit einem Schlage ein berühmter Mann gewordèn. Aehnliche Kunſtſtüchen vollbrahte er ſodann bei den barbariſchen Völkern Central-Aſiens, und als im Fahre 1865 Fürſt Labanoff, Rußlands Vertreter in Stambul, von ſeinem Poſten zurü>trat, ſo wußte man ſich in St. Pelersburg keinen geeigneteren Agenten am Bosporus als den erprobten Schlaukopf von Peking, den unblutigen Eroberer der Mandſchurei (nördlicher Theil des Reiches).

So betrat denn General Jg natieff den Boden Peras zu einer Zeit, wo der ruſſiſche Einfluß im vollen Niedergange ſi< befand, ja

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