Illustrierte Geschichte des Orientalischen Krieges von 1876-1878. : mit 318 Illustrationen, Plänen, Porträts und zwei Karten
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na< Anſicht Einiger, wo derſelbe völlig als vernichtet zu betra<ten war. Bei Sebaſtopol ſcien die Stellung, wel<he Rußland ſeit 1770, ſeit der Vernichtung der großherrlihen Flotte bei Tſhesme dur< den General Grafen Alexis Orloff, im Oſten ſi< zu erringen wußte und die eine impoſante war, für die Moskowiter unwiderruflich verloren gegangen ſein; es fürchteten eben die Türken, geſhüßt dur< das Abendland, geſtützt und ſogar dur< die Aufnahme in- das europäiſche Concert geehrt, ni<t mehr die „Moskals“, Die Chriſten ihrerſeits gaben jede Hoffnung auf, durch den „weißen Czaren“ zu einer nationalen, freiheitlihen Exiſtenz zu gelangen und zogen die „alte Freundſchaft“ der „Glaubensverwandten“ im weiten Norden gar niht mehr in Betracht. Es ſprach ja die Lection, welche die Weſtmächte im Jahre 1854 Griechenland ertheilt hatten, zu den Slaven höchſt eindringli< dafür, daß ſie nah dem „ſtammverwandten“ Reiche niht gar zu ſehr gravitiren dürfen und ſollen.
So bekam der General-Adjutant Alexander IT. eine re<t ſ{<wierige Aufgabe zu löſen; er hatte die nah allen Seiten dur< die Ereigniſſe der ruſſiſchen Stellung im Oriente zugefügten Schäden auszubeſſern, den gebrochenen Einfluß wieder herzuſtellen, dem erblaßten Nimbus zu neuem Glanze zu verhelfen. i
Und in der That, wenn es* die Aufgabe eines Diplomaten wäre, zu ſchüren und zu heten, den Haß der Nationalitäten und Racen anzufachen, Verſprechungen zu leiſten, ohne ſie zu halten, und Hoffnungen zu erwe>en, ohne ſie zu erfüllen, ſo verdient General Fgnatieff ein Stern erſten Ranges am Himmel der Diplomatie genannt zu werden. Vom Anbeginn an richtete ſi ſein Hauptaugenmerk darauf, die türkiſchen Verhältniſſe dermaßen zu zerrütten und zu verwirren, daß im Augenbli>e höchſter Unordnung Rußland eine Handhabe beſitze, um als angeblicher Schiedsrichter einzugreifen. Nun war freili< die Autorität des Czaren dur< den Krimkrieg troſtlos erſchüttert worden und auch die nationalen Brüder unter türkiſher Herrſchaft, Bulgaren, Bosniaken Uu. ſt. w., hatten ſeit dem Falle von Sebaſtopol gelernt, an der Macht des Koloſſes, der das Protectorat über ſie anſtrebte, zu zweifeln. — allein der ruſſiſche Rubel thut von altersher Wunder.
Jgnatieff ſchi>te ein ganzes Net von Agenten aus, um mit Geld und guten Worten die Brüder auf dem Balkan wieder zurüzulo>en ; der General entwielte eine erſtaunlihe Rührigkeit, ließ nahdrü>li< die religiöſe Gemeinſchaft mit Rußland, die nationale Blutsverwandtſchaft betonen, und da er den Rubel au< in die geöffneten Hände. mancher mohammedaniſchen Staatswürdenträger ohne Anſehung der Summe hinuntergleiten - ließ — wie es bei- Mahmud Pa <a erwieſen wurde — ſo beherrſchte er‘bald
ſo ſehr die Lage, daß nicht blos im Franken(Fremden-)Viertel die Autorität des ruſſiſchen Botſchafters beiweitem das Anſehen der übrigen Geſandten überwog, ſondern daß ſogar eine Weile Sultan Abdul Aziz. ſi< faſt ſklaviſ<h dem liſtigen Fgnatieff unterordnete. Fnzwiſchen flogen die beſten Garantien der Türkei gegen Rußlands Jutriguen in die Luft; der Pariſer Vertrag vom Jahre 1856 wurde durchlöchert, der Credit der Pforte an den europäiſchen Geldmärkten in Hinbli> auf die dur<h Jgnatieff unterſtüßte Verſhwendung des Padiſchah ruinirt, der Frieden zwiſchen den Bevölkerungen unterwühlt. Als Jgnatieff im Jahre 1865 nah Byzanz fam, loderte der bulgariſh-griehiſche Kirchenſtreit in hellen Flammen. Es galt ſona<h zwiſchen den beiden Parteien Stellung zu nehmen, ohne dur< wohlwollende Hinneigung auf die eine Seite der anderen einen Anlaß zur Erbitterung zu geben. Fgnatieff ſteuerte zuerſt mit den Bulgaren gegen die Griechen, aber bald fand er Gelegenheit, auh die Letzteren zu ködern. Der Ausbruh des fretenſiſchen Aufſtandes nämlich entlo>te ihm ſo laute Sympathien“ für die „Rebellen“, daß man in Athen ſi< niht verhehlen konnte, in dem General einen warmen und aufrichtigen Freund zu beſiben. So hatte er Bulgaren wie Griechen an das moskowitiſhe Fntereſſe gefeſſelt. Ein aufrihtiger Freund der Kretenſer, war er indeſſen feineswegs, wenn er au< ſein Botſchafts-Hôtel zum Mittelpunkte der revolutionären griechiſchen Elemente machte und junge Hellenen ſchaarenweiſe in ſeine Salons lo>te. FJhm war es nur darum zu thun, daß Rußlands traditionelle Machtſphäre über Südſlaven und Griehen ausgedehnt bleibe, zu welhem Zwe>e er den Leßteren ſogar vorgaufelte, das revoltirende Kreta werde mit Hilfe des Czaren von der türkiſchen Herrſchaft befreit werden. Zudem hegte er au<h wohl im: innerſten Grunde ſeines Herzens die Hoffnung, es ſeien die Tage des Fürſten Gortſchakoff gezählt und für ihn dann die Stunde der Erfüllung ſeiner Wünſche da — der Poſten des Reichsfanzlers in Bereitſchaft gehalten.
Und ſo ſtrahlte Fgnatieff's Stern im hellſten Glanze; er war der volksthümlichſte Mann in- Rußland, während Gortſchakoff's Geſtirn ſo ziemli< in den Hintergrund txat und vor demjenigen ſeines Rivalen zu Byzanz fihtli< zu verblaſſen anfing.
Dieſem Treiben ſchaute der Großvezier Ali Paſcha zwei volle Jahre zu; aber dieſer größte aller ottomaniſhen Staat8männer war denn doh zu ſtolz, um ſi< auf die Dauer unter ſeinen eigenen Augen verhöhnen zu ‘laſſen. Eines \{önen Tages erließ er ſein befanntes Ultimatum an die griechiſche Regierung und wenige Wochen darauf war der kretenſiſhe Aufſtand zu Ende. Fett be-