Illustrierte Geschichte des Orientalischen Krieges von 1876-1878. : mit 318 Illustrationen, Plänen, Porträts und zwei Karten

Die Pforte büßte dur<h die Weigerung Rumäniens allerdings wieder ein Stück ihrer Oberherrlichkeit ein, aber Oeſterreich hatte keinen Grund, ihr dasſelbe auf eigene Koſten zu erhalten, denn ſeine Oberherrlichkeit war ſhon damals mehr Schein als Wirklichkeit. Der Sultan hatte über ſeine europäiſhen Vaſallen, die Fürſten von Rumänien, Serbien und Montenegro, wenn lebteres gegen ſeinen eigenen Widerſpruch hinzu gere<hnet werden darf, niht mehr Gewalt als in den leßten Zeiten des einſtigen deutſchen Reiches der Kaiſer über die mäctigeren Kurfürſten; ſie waren in Allem ſouverain, au< im Zoll- und Handel8weſen, nur niht dem Namen nah, und ihre Macht wuchs der türkiſchen von Tag zu Tag mehr über den Kopf. Die Pforte hatte an den Fürſtenthümern längſt keine Unterthanen mehr, niht einmal Bundesgenoſſen im Kriege, wohl aber eventuell offene Feinde. Der einzige materielle Gewinn, den die Pforte noch aus dem Suzerainitäts - Verhältniß über die Fürſtenthümer zog, wär der jährliche Tribut, den ihr Rumänien im Betrage von ahttauſend Beuteln (360.000 Gulden), Serbien im Betrage von 4600 Beuteln (207.000 Gulden) bezahlten.

Der Entwi>elungsgang an der unteren Donau und auf der Balkan-Halbinſel, der Verfall der türkiſchen Macht und das Emporkommen chriſtlier Staatengebilde iſt vielleicht niht aufzuhalten, und das Aufhalten wäre auh gar nicht wünſchenswerth. Allerdings aber war die allmälige friedlihe Löſung einer ſchnellen, gewaltſamen vorzuziehen. Der Abſchluß einer öſterreichiſ<-rumäniſchen Handel8-Convention (Vertrag ſollte dieſelbe ausdrü>li< niht heißen) war ein Schritt zu ſolcher friedlihen Löſung, er enthielt eine Anerkennung thatſähliher Verhältniſſe, das heißt, der handelspolitiſchen Selbſtſtändigkeit Rumäniens, ohne eine Verlebung entgegenſtehender Rechte.

Oeſterreich und Rumänien hatten einen Handelsvertrag nöthig, denn ſie ſtoßen auf einer langen Landgrenze zuſammen, ſie hatten bereits ſehr ausgedehnte Handelsbeziehungen zu einander, die ſich no< ſteigern mußten, wenn außer der Lemberg-Czernowiß-Jaſſyer Bahn und der Flotte von Donau-Dampfern no< zwei bereits vereinbarte ungariſch-ſiebenbürgiſ{<-rumäniſ<he Bahnlinien den Verkehr erleihtern würden. Oeſterreich iſt der Hauptkunde und der Hauptlieferant der Donau-Fürſtenthümer. Die Einfuhr aus Oeſterreih na< denſelben auf der Land- und Flußgrenze ohne die von der See kommende Einfuhr, an der Trieſt mit ein paar Millionen betheiligt iſt, belief ſi< im Fahre 1865 auf 28:9, die Einfuhr aus den Fürſtenthümern nah Oeſterreih auf 205 Millionen Francs, 1869 in beiden Poſten ſhon auf 46 und 33 Millionen Francs, und wax ſeither mit einigen, von dem Erüte-Ausfall ab-

hängigen Schwankungen immer geſtiegen. Das waren Gründe genug, um einen Handelsvertrag nöthig zu machen, und da Rumänien auch ein ſelbſtſtändiges Zollgebiet bildete, ſo lag darin eine Nöthigung dazu. Weigerte es ſih, dabei eine Oberherrlichkeit der Pforte, die factiſh niht beſteht, formell anzuerkennen, ſo war es niht Sache Oeſterreichs, dasſelbe dazu zu nöthigen.

Daß man in der Türkei ob dieſer unüberwindlichen Gegnerſchaft der drei, zur Aufrechterhaltung des Status quo im Oriente verbündeten Mächte, ziemli< ſ{<le<t auf die Letzteren zu ſprehen war, beweiſt die Antwort, welche Aarifi Pa <a auf die famoſe „identiſhe Erklärung“ der drei Mächte Oeſterreih-Ungarn, Rußland und Deutſchland, „daß ſie im Abſchluſſe von Handelsverträgen mit den Donau-Fürſtenthümern eine Beeinträchtigung der Suzerainitätsre<hte des Sultans niht zu erbli>en vermöchten“, gab.

„Wir ſind gezwungen,“ lautete dieſelbe, „uns zu fragen, ob der neue Schlag, den man gegen den Pariſer Friedensvertrag führt, nicht dieſelbe Wirkung wie die früheren habe, ob nicht ein Tag kommen wird, an wel<hem menſ<li<er Wille ohnmächtig iſt, eine Strömung aufzuhalten, die man durch eine Reihe von Vertrags-Verleßungen entfeſſelt hat.“

Es ſcien, als weiſſagte der türkiſche Miniſter mit dieſen Worten den Untergang des eigenen Reiches und als erbli>e er gerade darin das einzige Mittel, den Apfel der Zwietracht zwiſchen die drei, zum Untergange der Pforte verbundenen Mächte zu werfen. Den zunächſt betheiligten Cabineten von Wien und St. Petersburg konnte es allerdings niht entgangen ſein, daß der Zerfall der Türkei auh die Frage zur Entſcheidung und Reife bringen müſſe, wer der Erbe des Sterbenden zu ſein habe. Und hier trat das drohende Geſpenſt der orientaliſchen Kriſis wieder vor alle Welt. Aarifi Paſcha gefiel ſich augenſcheinli<h darum ſo ſehr in der Au8malung des unvermeidli<h werdenden Zuſammenbruches, weil er ſi< der trügeriſhen Hoffnung hingab, daß die Nothwendigkeit einer Erbtheilung und die damit eng verbundenen Wirren vielleicht no< abkühlend auf die mitleidloſen drei Mächte einzuwirken vermöchten. Die Haltung Oeſterreichs in der ganzen leidigen Angelegenheit war dur< Umſtände bedingt, denn es handelte ſi< darum, in dieſer handelspolitiſchen Sache ſehr lebenserforderlihe Jutereſſen zu ſchirmen, und es iſt ohne Zweifel, daß ein praktiſcher Politiker, wie Graf Andraſſy, der öſterreihiſhe Miniſter des Auswärtigen, zunächſt das eigene Futereſſe zu wahren hatte, ehe er ſi von Neigungen und Ueberlieferungen beeinflußen laſſen konnte. Wäre die Türkei in der Lage geweſen, dem öſterreichiſhen Staate zu garantiren