Illustrierte Geschichte des Orientalischen Krieges von 1876-1878. : mit 318 Illustrationen, Plänen, Porträts und zwei Karten

er zum Botſchafter in Conſtantinopel ernannt, wo er freili< anfangs kaum im Stande war, der Stimme Englands au< nur das mindeſte Gewicht zu ſchaffen, denn es ſtand der ſchlaffe, nur ſeinen ſ{<welgeriſhen Genüſſen lebende Sultan Abdul Aziz vollſtändig unter Fgnatieff's Einfluſſe; erſt als die Verwirrung im Reiche und mit ihr die Gefahr immer mehr ſtieg, da gewann Sir Elliot den einflußreihſten Boden.

UVeberhaupt ſ<lugen die engliſhen Staatsmänner einen ziemli< unfreundlihen Ton an gegenüber dem Vorgehen der drei Mächte und ihrer „identiſhen Erklärung“ vom 23. October, Man war darum gefaßt, in dieſer rumäniſchen Handelsconventions-Frage England zum Gegner zu haben, war aber ebenſo entſhlo\}en, ſih um dieſe Gegnerſchaft nicht viel zu kümmern.

Da, plöblih, ſah man an der Themſe ein, daß ein ſolcher Vorgang eben nicht geeignet ſei, den Einfluß und das Anſehen Großbritanniens im Orient zu ſteigern. Es fonnte in der That die Pforte nur eine geringe Meinung von Englands Mahtberei<h bewahren, wenn dasſelbe ih als ohnmächtig erwies, eine vermeinlihe Vertragsverletung hintanzuhalten, und es fragte ſi< nun, was da eigentlih zu thun wäre.

Nach langem Hin- und Herüberlegen verfiel man ſchließli< im Foreign-Ofice (ausländiſ<hen Amte)

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auf folgendes, re<t eigenthümlihe Ausfunftsmittel: Da man ſelb niht im Stande war, Oeſterreich gegenüber die Türkei in ihren angeblihen Privilegien zu \<üten, ſo hielt man es für das Rathſamſte, auh ſeinerſeits dieſen öſterreiiſhen Standpunkt anzunehmen, und ſo debutirte plöblih Sir Elliot am Bosporus mit einer Erklärung, daß au< England den Staudpunkt der drei Mächte annehme, welchen dieſelben in ihrer „identiſhen Erklärung“ fixirt hatten. Und, mit dieſer Shwenkung noh nicht zufrieden, ging der engliſhe Botſchafter ſofort angreifend weiter, der Pforte auseinanderſebend, wie vortheilhaft es für ſie ſei, aus eigenem Antrieb, ohne auf ein Anſuhen der Rumänen erſt zu warten, dur< einen Ferman dem Fürſten Karl ſelbſt jene Ermächtigung zu verleihen, die man ihm biSher ſo beharrli<h verweigert hatte; denn ein ſolcher Ferman ſei das einzige Mittel, die Sugerainität des Sultans ganz unbeſtritten auch in dieſer handelspolitiſhen Frage in Kraft zu erhalten. Dieſer Vorſchlag, hieß es, ſei auf dem Punkte, vom Divan angenommen und ausgeführt zu werden. Da kam denn auf dieſe Weiſe die engliſ<he Diplomatie mit einem Schlage aus der ſ{mollenden Beiſeiteſtellung, in die ſie ſi< hatte hineindrängen laſſen, wieder“ in die erſte“ Reihe.

Entwickelung der monkenegriniſ<hen Affaire.

Fürſt Nikolaus von Montenegro war mittlerweile niht gewillt, die PodgorizaAffaire im Sande verlaufen zu laſſen, ohne daß ihm ein kleines Profithen aus derſelben exwüchſe. Schon im October wurde gemeldet, daß der Fürſt von Montenegro in einem, an den ruſſiſhen Botſchafter-General Fgnatieff, als Doyen (Alteſter) des diplomatiſchen Corps zu Conſtantinopel, gerichteten Telegramme die Zwe>mäßigkeit dargelegt habe, der Enquête (berathenden Unterſuchung) über den Conflict in Po dgoriza einen internationalen Charakter zu geben. General. Fgnatieff befragte hierüber ſeine Collegen und antwortete dem Fürſten, daß das diplomatiſche Corps, nachdem der Großvezier eine ſ{hleunige Juſtiz zugeſagt, ſi< für den Augenbli> darauf beſchränken würde, „den Verlauf der Angelegenheit zu verfolgen“.

Und kurze Zeit nachher meldete man aus Petersburg, daß, Nachrihten aus Montenegro zufolge, dem jüngſten Conflicte zwiſchen der Türkei und Montenegro viel mehr Wi chtigfeit beizulegen ſei als den ſonſtigen häufigen Streitigkeiten der dortigen beiderſeitigen Grenz-

Bevölkerung. Es ſcheine Fürſt Nikolaus dieſen Fall, in welchem die Schuld in eclatanter Weiſe den türkiſhen Behörden zur Laſt falle, als willkommene Gelegenheit dazu benüßen zu wollen, um wieder einmal einen ſeiner Lieblingswünſche zur Realifirung zu bringen, nämli<h: einen angrenzenden Küſtenſtri<h in Albanien mit einem Seehafen in Beſiß zu erlangen. Zu dieſem Zwe>e verlange der Fürſt, den jüngſten Conflict mit der Türkei, ſowie die Frage betreffs des Schadenerſaßes an Montenegro, am grünen Tiſche der Diplomatie zur Austragung zu hbringen, und bitte um die Verwendung des Petersburger Cabinetes in dieſem Sime, die ihm auch nicht vorenthalten werden dürfte, wie {hon der Umſtand darauf hinweiſe, daß der Czar dem Fürſten Nikolaus, der bisher keinen Fingerhut voll Seewaſſer ſein eigen nenne, jüngſt ein kleines Kriegs\chif zum Geſchenk gemacht habe.

Sei es jedoch, daß er zuleßt ſeine Zeit no< niht gekommen wähnte, oder daß ihm von Petersburg aus ein freundſchaftliher Wink geworden — am 3. November 1874 willigte Fürſt N ikolaus endli<h ein, drei Delegirte zur Unter-