Illustrierte Geschichte des Orientalischen Krieges von 1876-1878. : mit 318 Illustrationen, Plänen, Porträts und zwei Karten, page 685
oder Tiraſpol am Dunieſter bei; rieſige Remorqueure (Schleppdampfſchiffe) \{leppen ganze Flottillen von Getreideſchiffen heran, dazwiſchen Leichter und Schinakel, Jollen und Gigs (ſeihtes Eiſenble<boot) in ſteter Bewegung. Dazu die Bemannung in einer Muſterkarte von Trachten aller Abend- und Morgenländer, die* Möven, welhe über dem majeſtätiſhen Strome kreiſen, der eintönige Geſang der Matroſen bei der Arbeit, das Geſurre von Tauſenden geſchäftig durcheinander wogenden Menſchen — das Alles giebt ein lebhaft gefärbtes Bild.
Es verliert etwas von ſeinem Reize, ſobald der Paſſagier das Feſtland betritt und nunmehr gezwungen iſt, in dem Gewühl um ſein Daſein zu kämpfen. Was aus einiger Ferne maleriſh erſcheint, kann bei unmittelbarer Betrachtung Ekel erwe>en, und die intereſſanten Nationalitäten ſind nicht immer die liebenswürdigen. Hundert braune, wahrſcheinli< niemals ernſtli<h gewaſchene Hände ſtre>en ſi< aus Lumpen dem Gepä> der Reiſenden entgegen, als ſei dasſelbe herrenloſes Gut, Jedem erreihbar; ſehs faſſen zugleich den leiten Handkoffer an und über eine Hutſchachtel entſpinnt ſih ſofort eine Balgerei. Wer aber nux das Glük gehabt, ein Stü anzufaſſen, der will auh dafür belohnt ſein und ſucht brüllend wie eine Rohrdrommel ſein Recht geltend zu machen. Jn dieſer Weiſe umringt, bedroht, vergewaltigt, erreiht der Reiſende endlih eine über und über mit Monate
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altem Straßenkoth beſprenkelte Karutze (Kutſche) -
und wirft ſi< mit tiefem Athemzuge auf deren zerfeßte Polſter, froh, den frechen Peinigern entgangen zu ſein. Aber er irrt ſi; lange noh begleiten bar- und ſhnellfüßige Mitglieder der jungen Moldau zu beiden Seiten das Gefährte, um dur< Beharrlichkeit zu erzwingen, was ſie als einen dem Fremden auferlegten Dezem (Zehent) betraten. Wölfiſche Köter geſellen ſih mit heiſerem Bellen zu dem großen Geſindel, und ſo zieht der Gaſt mit großem Gefolge vor dem Hotel auf,
woſelbſt ſih ſofort eine ähnlihe Scene, nur um
einige Grade verfeinert, abſpielt — wenn derſelbe überhaupt ein Hotel aufſucht, was ſeine Bedenklihfeit hat. Mancher Reiſende hat nah vierundzwanzigſtündiger Probe das erſte der Stadt verlaſſen, um fi in irgend einem Han (Herberge, Karawanſerei) einzuguartieren, welches, meiſtens von einem griechiſhen ehemaligen Schiffskoch etablirt, wenigſtens Unverfälſhtes für billigen Preis bietet, anſtatt der ſ{le<ten franzöſiſhen Nachahmung zu unendli< hohem. Auch gilt es niht Umſchau in der oberen, der eigentlichen Stadt mit ihrer eigenthümlichen Miſchung von Abend- und Morgenland, ihrem wunderbaren Stadtpark ohne Schatten, ihrem bretternen Theater und ihren den Koſaken-Wachtſtationen am Kuban nachgebildeten Beobachtungsthürmen für die ganz vortreffliGe — Feuerwehr. So viel An-
ziehendes ſi<h berichten ließe über die nationalen Gegenſäße, die hier ſtündlih aufeinanderplaten, über die ſonderbaren Miſchlingsverhältniſſe der Bevölkerung, unter welcher die Juden einen beſonders bevorzugten Rang einnehmen dur den Ruf der Ehrlichkeit und Zuverläſſigkeit, den ſie genießen — gegenüber den Phanarioten und den ſogenannten Malteſern, den Auswürflingen der Mittelmeer-Fnſeln — ſo kann do< der Zwe> dieſer Skizze nur dahin gehen, dem Leſer einen kurzen Begriff des Treibens längs des Stromufers beizubringen.
Steigt man auf der breiten weſtlihen Freitreppe aus der oberen Stadt hernieder zum Hafen, ſo wird der Neuling wenig angenehm berührt von der Atmoſphäre, welhe ihn empfängt. Ein Gemiſ<h der Arome von Theer, Kaffee, JFohannisbrot (Bo>shörndl) und gedörrten Fiſchen kißelt ſeine Geruh8nerven in niht gerade anmuthender Weiſe. Die zahlreihen Schiffe und Kaffeehäuſer, unter leßteren am beſuchteſten dasjenige der Börſe, erklären ſofort die Entſtehung der beiden erſteren Ausſtrömungen; die der anderen werden Schritt für Schritt illuſtrirt dur< die coloſſalen Anhäufungen der Schotenfrühte der Carruben (Johannisbrotfrüchte), welche, aus dem Mittelmeer eingeführt, hier ihren hauptſächlihen Stapelplaß zu haben ſcheinen, und dur die niht minderen von ſilberweißen gedörrten Fiſchen, den ſogenannten „Donauhäringen“, dem gemeinſten Nahrungs mittel der Stromanwohner, deſſen Geſhma> ſeinem Hautgout vollkommen entſpriht. Das Gewühl auf dem Quai iſt zu jeder Tages8zeit, nur die Mittagsſtunden in der heißen Fahresperiode ausgenommen, ſtets ein außerordentlihes; die bunten Trachten, das Sprachengewirr, die ſeltſamen Geſtalten, welche bei jedem Sritte aufſtoßen, verfehlen nit, ihren faſt betäubenden Eindru> auf den Fremdling. Auffallend findet es dieſer, daß in der Menge ſo wenige Weiber vertreten ſind; das Morgenland hat ſ{<on begonnen; die Vertreterinnen des Geſchlechtes zeigen fi< entweder an den Eingängen der Verkaufsläden oder ſind Moldavaner-Bäuerinnen in zierlihem Sonntagspub. Die Hälfte der geſchäftig wogenden Maſſen ſcheint dem Volke Gottes anzugehören, der jüdiſche Factor iſt hier in ſeinem Elemente, allein auh die Handarbeiter ſind der größeren Zahl nah Hebräer, und zwar - ſehr kräftigen Schlages ; ihre Muskulatur läßt ſi< bequem beurtheilen, da die geſammte Kleidung derſelben wenig bedeuten will und bei den Sgthiffsträgern zum Beiſpiel einfa<h aus einem Paar Schwimmhoſen und einem um den Kopf gewundenen Tuche hbeſteht. Auch die Kutſcher der Hunderte von Karutzen und Birschees (Miethwagen), welche auf den verſchiedenen Stationen einer Fahrt harren und die Borübergehenden zu einer ſolchen viel dringlicher