Illustrierte Geschichte des Orientalischen Krieges von 1876-1878. : mit 318 Illustrationen, Plänen, Porträts und zwei Karten

Betrachten wir uns ein wenig die Anführer der FJnſurgenten.

Der hervorragendſte von ihnen, Michael Ljubobratitſ<, war von herkuliſher Geſtalt. Er maß faſt ſe<s Schuh und war proportionirt athletiſ<h gebaut. Miene und Auge nahmen bei der erſten Bewegung für ihn ein. Sein Blick wax durchdringend und doch mild. Die ſonore Stimme flang ſehr ſympathiſh; die Sprache deutete auf Kraft hin, mit großer Herzensgüte gepaart. Jm Geſpräch kamen bei Ljubobratitſ< ohne alle Affectation Selbſtbewußtſein, Würde und unverfennbarer Adel der Geſinnung zum Ausdru>. Seine Haltung war die eines"Sohnes der Berge, frei und männlich, ſeine Bewegungen wuchtig, gemeſſen und doh von elaſtiſchem Schwunge. Er ſprach ſerbiſch, franzöſiſch und italieniſch. Mit dem eigentlichen Familiennamen hieß er Bollarditſ<. Der Name Ljubobratitſ< — der ſeine Brüder Liebende — wurde ihm während ſeiner Vorbereitung zur Befreiung der Rajahs vom türkiſchen Joche von den ihm näher Stehenden ſo lange beigelegt, bis ex ihn für immer annahm. Lj u b'obratitſ< mag zwiſchen dem 30. und 40. Lebensjahre ſtehen. Sein Ernſt ließ ihn älter erſcheinen, als es wirkli<h der Fall. Der elaſtiſhe Schwung der Bewegung ließ vermuthen, daß ex näher den Dreißigern als den Vierzigern ſtünde. Der Jufurrection naheſtehende Perſönlichkeiten von Bedeutung ſprachen mit Zuverſicht und Vertrauen von ſeiner militäriſhen Bildung. E

Die bedeutendſte Erſcheinung nah dem Vorigen war der, nächſt oder in Trebinje gebürtige Lu ka Petrowit\<. Ohne das Jmponirende der äußeren Erſcheinung des Erſteren, repräſentirte ſi<h Petrowit\< auf den erſten Blik als Führer durch Haltung, Erfahrung und natürliche Anlage. Sein wettergebräuntes und tief dur<hfur<htes Geſicht heiſhte Reſpect. Sein Bli>k vexrieth durchdringende Futelligenz. Jm heftigſten Feuergefeht bewahrte Petrowitſch dieſelbe Ruhe, die ihn während ſeiner Alltagsverrihtungen als Anführer charakteriſirte. Er mochte nahe den Sechzig ſtehen. Fm Verkehr war er bei allem Selbſtbewußtſein und, obſchon ein Sohn der Wildniß, mit Seinesgleihen wie mit ſogenannten Gebildeten von gleicher überraſchender Artigkeit. An ſeiner, nah montenegriniſher Art geformten, ſchirmloſen \<hwarzen Kappe trug er einen metallenen Doppeladler. Er galt als Anführer aller Aufſtändiſchen aus dem Trebiſchnica-Thale. Fn Abweſenheit Lj ubobratitſ<'s war ſtets er der Befehlshaber im JFnſurxgentenlager von Duze Monaſtir.

Eine neue große Gefahr bedrohte die Fnfurrection. Deſterreih-Ungarn, hieß es, habe der Pforte geſtattet, in Klek Truppen auszuſchiffen und ſie auf dieſem einzig noh verfügbaren Wege nah dem Schauplayze des Auf-

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ſtandes zu dirigiren. Die Pforte war dadurh, in Folge der loyalen und vertragsmäßigen Haltung Oeſterreihs großer Schwierigkeiten überhoben. Die gefahrvolle Situation, in welcher ſi<h Derwiſ< Paſcha befand, läßt ſi< au<h ohne weitläufige geographiſhe Auseinanderſezungen begreifli<h machen. Es genügt der Hinweis, daß Bosnien und die Herzegowina dur<h die Ausdehnung der Juſurrection bereits von Albanien und Rumelíen abgeſ<nitten waren. Bei der drohenden Stimmung aber, welche in den Vaſallenländern vorherrſhte, konnte die Pforte kaum ernſtli<h daran denken, ihre Truppen etwa durch Serbien oder Rumänien marſchiren zu laſſen. Es blieb ihr nur mehr der Seeweg über Klek und die Suttorina offen, um dem iſolirten Derwiſch Paſcha Entſaß und Verſtärkungen zu bieten. Die Benübung dieſer Straße für Kriegstransporte hing jedo< von ver Genehmigung Deſterreic<s ab.

Allerdings hatten die Türken von altersher die Berechtigung genoſſen, in dieſem Hafen Truppen auszuſchiffen, und auf dem Landwege durch die Enclave, welche ſie am Narenta-Ausfluß beſiben, weiterzutransportiren; dabei war es jedoch gewohnheitsre<tli< feſtgeſtellt, daß die Pforte in jedem ſol<hen Falle ein formelles Anſuchen an das Wiener Cabinet richte und einen Revers ausſtelle, daß dieſe Ausſchiffung dem Status quo nicht na<theilig werden ſolle. — Der Status quo

“beſteht aber darin, daß nur das Ufer als tür-

fiſhes Gebiet gilt, das Waſer jedo<h als ſogenanntes mare mortuum (unveräußerlicher Beſib) betrahtet und behandelt wird, in welches keinem Kriegsſciſfe einzufahren geſtattet iſt, mit Ausnahme ſolcher, welche die öſterreichiſh-ungariſche Flagge führen. Jm Augenbli>e lag das öſterreichiſche Kanonenboot „Möve“ als Stations{if in jener Bucht. Wenn nun die Türken wirklich die Abſicht gehabt hätten, im Hafen von Klek einige Kriegsfahrzeuge zu ſtationiren, fo wäre dies dem beſtehenden Verhältniſſe gegenüber eine Unzukömmlic<hkeit geweſen, abgeſehen davon, daß daraus auh andere Mächte das Recht hätten ableiten fönnen, eine Beobachtungsflotille in die Gewäſſer von Sabioncello zu entſenden. Die Türkei wollte übrigens nun auh auf dem Landwege größere Truppen-Abtheilungen in die Herzegowina befördern. Die Commandanuten des zweiten und dritten türkiſchen Armeecorps hatten nämlich Befehl ‘erhalten, jene Regimenter, welche nächſt der Herzegowiner Grenze ſtationirt waren, auf den Juſurrectionsſhauplaß zu ſchi>en. Auf die Nachri<ht von großen Truppenmärſchen aus Klek räumten die Fnſurgenten das Kloſter Duze, um andere Poſitionen einzunehmen, kehrten jedoh bald wieder in das Kloſter zurü> und beſebßten dasſelbe.