Illustrierte Geschichte des Orientalischen Krieges von 1876-1878. : mit 318 Illustrationen, Plänen, Porträts und zwei Karten

drei Seiten umſchließende feindlihen Corps befindet, Gebrau<h machen und gleih Napoleon I. über den zerſtreuten Feind herfallen und ihn vereinzelt ſchlagen. Dies ſcheint die Quinteſſenz eines ſogenannten „geheimen“ Planes Abdul Kerim's geweſen zu ſein, deſſen Ausführung er nunmehr ſeinem Nachfolger überlaſſen mußte.

Was den- ruſſiſchen Generallieutenant Joſef Wladimir Gurko anbelangt, gehört er einer altruſſiſ<hen Adelsfamilie aù, wurde im Jahre 1822 geboren und erhielt ſeine erſte Erziehung im faiſerlihen Pagencorps. Mit achtzehn Jahren wurde er Offizier, mit dreißig Jahren war er bereits Gardecapitän, ließ ſi< als Oberſtlieutenant in's dreizehnte Hußaren-Regiment Narwa überſeßen und übernahm ein Jahr darauf das Commando über dasſelbe. Später commandirte er im Kaukaſus und in Polen; Generalmajor wurde er 1869, Generallieutenant vor Kurzem.

Man erzählt eine ganze Reihe kleiner Züge und Geſchichten von Gurk o's Balkan-Uebergang, die zum Theil helle Streiflihter auf die Zusſtände und Begebenheiten jener Tage warfen. So z: B. folgendes :

Als Gurko über den Balkan ging, wurde Befehl gegeben, auf ſe<s Tage Zwieba>-Rationen mitzunehmen und dieſen Vorrath wie den Augapfel zu bewahren, „für den Fall der äußerſten Noth“. Es wurde eingeſhärft, daß der Vorrath, obgleih er auf ſe<s Tage bere<net, neun Tage reihen müſſe, und als der „allerunantaſtbarſte" zu betrachten ſei. So wurde er au< genannt — „der allerunantaſtbarſte“. — Gurko erkundigte fi< häufig nah dieſem Vorrath; er erinnerte daran, daß-die Soldaten ſi< von den Mitteln des Landes zu

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nähren hätten und nur im äußerſten Nothfall den Vorrath angreifen dürften.

Ein Regiments-Commandeur ſtellte nah der Frage Gurko’'s Na<hforſhungen in ſeinem Regimente an, wie viel Zwieba> no< da ſei. Jn einem Theil des Regiments war der Vorrath no< unverſehrt, in anderen Theilen war nur eine halbe Tagesration aufgezehrt, in einem Zuge waren aber nur no< vier Tagesrationen da.

„Nur vier?!“ \<rie der Commandeur, „So iſt's, Hochwohlgeboren!" antwortete der Wachtmeiſter. — „Nur auf vier Tage! At, Du Verräther, weißt Du niht wie der Vorrath heißt 2“ „Der unantaſtharſte, Euer Hohw. ..“ — „Und du ſollſt kein Verräther ſein, der Zugführer ſoll kein Verrätherx ſein ? Ih werde Euh morgen als Verräther alle Beide aufhängen laſſen zum Exempel für die Anderen. Begreifſt Du, was es heißt, der unantaſtbar ſte? Das iſt ſol’ ein Vorrath, hörſt Du wohl, den Du ohne beſondere Erlaubniß niht nur niemals antaſten darfſt, ſondern den Du, wenn Du ihm nahe kommſt, nicht ‘einmal anſehen darfſt, ſo daß Du Dein Geſicht auf die Seite wenden mußt. Verſtanden ?* — „Verſtanden, Euer Hochwohlgeboren; nur haben die Leute nihts zu eſſen." — yO, was heißt ni<ts zu eſſen?! — Nichts zu eſſen, Euer Hochwohlgeboren.“ — „Aber Fleiſ<h habt Jhr doh?“ — „Fleiſh genug, Euer Hochwohlgeboren, aber ohne Brot iſt es ſozuſagen kein Eſſen.“ — „Was für ein Unſinn mein Funge: Weißt Du, daß die Engländer ihre Kinder nur mit Fleiſ< aufziehen, damit ſie geſünder ſind. Marſh fort und behalte, daß man den Engländern na<zuahmen hat." — „Zu Befehl, Euer Hochwohlgéhoren.“ i

Hräueſthaten der Ruſſen und Yulgaren.

Der Siegestaumel bekam bald ein trauriges Nahſpiel. Es berichteten nämlich die türkiſchen Behörden über Acte der \<re>li<ſten Grauſamkeit, welche die ruſſiſhen Truppen auf allen von ihnen berührten Punkten türkiſchen Gebietes verübten. Es ſollte aus dieſen Vorgängen erhellen, daß der Feind ſyſtematiſ<h mit Raub, Mord, Plünderung und Brandſtiftung vorging. Unter den obenerwähnten Acten hoben die kaiſerlien Behörden insbeſondere die nahſtehenden hervor, deren Wahrheit durhwegs verbürgt wurde: Die ruſſiſhen Truppen überfielen ein zu Siſtowo gehöriges muſelmänniſches Dorf, plünderten es rein aus, ſte>ten die Häuſer in Brand und mordeten eine große Anzahl friedliher Perſonen.

Sechs Bewohner desſelben Dorfes wurden vom Feind aus einem Verſte> hervorgezogen

und, troßdem ſie keinen Widerſtand leiſteten, derart mißhandelt, daß Einer von ihnen todt auf dem Plate blieb; die übrigen wurden als Gefangene fortgeſhleppt.

Sieben Perſonen, wel<he ſi< von Ruſtſhuk nah ihrem Heimats8orte Pitano begeben wollten, wurden von der ruſſiſhen Reiterei angegriffen und mit Ausnahme eines Einzigen, dem es zu entkommen gelang, auf das grauſamſte niedergemetßelt. Die Leichen der unglü>lihen Schlachtopfer waren der Gegenſtand grauenerregender Schändungen; man riß ihnen die Augen aus und verſtopfte die leeren Höhlen mit Brot. Die Bulgaren von Siſtowo, angefeuert dur< die Gegenwart des Feindes, ermordeten die flüchtigen Muſelmanen und aht türkiſche Soldaten, welhe den Ruſſen in die