Illustrierte Geschichte des Orientalischen Krieges von 1876-1878. : mit 318 Illustrationen, Plänen, Porträts und zwei Karten

Ueber das fernere Schi>ſal der beiden in Ungnade verfallenen Männer war indeſſen noh kein Entſchluß gefaßt worden. — Offenbar ſuchte man im Palaſt für ſie Fürſprache einzulegen, und Mahmud Paſcha ließ nihts außer Acht, um ſeinen Freund Redif zu retten. Dieſer war beſhuldigt, die Krieg8angelegenheiten niht gehörig überwacht und ſi< zu ſehr auf den Serdar und deſſen Operationen an der Donau verlaſſen zu haben. Außerdem mangelte es nah dem Rapport, den der Sultan von dem erſten Palaſt-Adjutauten, Mahmud Paſcha, erhalten, der Armee an dem Allernothwendigſten; no< conſtatirte Hamil Paſcha die Sorgloſigkeit, Nachläſſigkeit und Unvorſichtigkeit — lauter Dinge, dur< welche der Feind bedeutende Vortheile erlangt hatte.

Was Abdul Kerim anbelangte, ſo war die Meinung Aller günſtiger geſtimmt. cu ſrüheren «Fahrhunderten, als no< das Türkenreih uicht von abendländiſcher Cultur bele>t war, als thatkräftige tapfere Monarchen, wie Mohammed, Soliman, Achmed, die ſtatt im Serail im Heerlager Hof hielten, auf dem Throne ſaßen und ihre Fauitſharen den Halbmond ſiegreich bis vor die Thore Wiens trugen, in dieſer Zeit ſprang man mit beſiegten Feldherren gar nict allzu fein um; man ſandte ihnen die berüchtigte rothe Schuur ſammt Gebrauchsanweiſung und man wiederholte das Verfahren ſo lange, bis ſi die Generäle das Siegen ſo zu ſagen angewöhnt hatten. Heutzutage hat man ſo viel bereits von occidentaler Geſittung aufgenommen, daß man von dex barbariſ<hen Gewohuheit der rothen Schnur billigerweiſe Abſtand genommen hat und es vorzieht, ſol<hen Feldherren, die im Kriege niht beſonders glü>li< waren, na anderweitigem BVorbilde den „blauen Bogen“ (Penſionsdecret, ſo genaunt von der Farbe des ämtlichen Papicres) zu ſenden, dann und wann auh dieſe Strafe dur Verleihung einer Perſonalzulage zu verſchärfen. — Wie froh mochte deshalb Abdul Kerim, der bisherige Generaliſſimus, ſein, daß niht mehr barbariſche, alterthümlihe Gebräuche, ſondern abendländiſhe Geſittung hierzulande herrſchte,- und daß er niht an ſeiner eigenen Perſon das unangenehme Experiment der rothen Schnur zu erproben genöthigt war. Seine Entſezung war Strafe genug.

Doch Abdul Kerim war Stoiker, Phlegmatiker erſten Nanges und er fügte ſi< na der Ueberraſchung, die ihm ſein jäher ganz unerwarteter Sturz verurſacht hatte; war doch cine ſhwere Laſt von ihm genommen, eine furchtbare

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BVerantwortlihkeit von ſeinen lebensmüden Schultern abgewälzt worden. Denn bei der jeßigen Sachlage war er ſeit Beginn des Krieges zwar nomineller Oberbefehlshaber der europäiſchen Armeen geweſen, aber in jeder Hinſicht dur den berüchtigten türkiſchen Hofkriegsrath, der Dari Choura, an deren Spitze der ränkevolle Redif ſtand, bevormundet, ihm eine Anzahl unfähiger Unterabtheilungs-Feldherren aufgezwungen, während die tüchtigen auf Strafpoſteu nah Montenegro geſandt wurden. Auch in anderer Hinſicht wurden die Vorrechte des Serdaxs geſ<hwäht ; bald wäre es dazu gekommen, daß man ihm und ſeiner Armee den Küchen- und Menage-Zettel von der Dari Choura aus vorgeſchrieben hätte. Zuleßt war no< Redif angekommen, welcher ſih in Schumla feſtſeßte und nun aus nächſter Nähe alle Beſchlüſſe, Pläne, Entwürfe des Serdars dur< ſein Verbot annullirte oder in unvortheilhafter Weiſe ändern ließ. Es kam deshalb ſhon in den erſten Tagen zwiſchen dieſen hohen Würdenirägern zu einer Auseinanderſetzung, welche einen bei den trägen Türken ſelten vorkommenden hohen Grad von Erregtheit aunahm.

Nach dieſem Streit, den zwei Generale der Suite Abdul Kerim's vergebens beizulegen trahteten, nahm die Verſtimmung, ja Feindfeligkeit zwiſchen den beiden Marſchällen immer größere Ausbreitung an, in Folge deren Redif Paſcha ſofort das Lager verließ und im Scrail zu Schumla ſein Abſteigequartier nahm, von wo aus er Ordres anu die verſchiedenen Gencrale und Truppenbefehlshaber gab, die zuweilen mit den vom Serdar gegebenen im Widerſpruche ſtanden, au< Einzelne, wie Ahmed Ejub, zu Dingen ermuthigte, die ſie ohne die Unterſtüßung des allmächtigen Seraskiers nie und nimmer gewagt hätten. Aus dieſen und anderen Gründen mußte es Jedermann begreifli<h finden, daß Abdul Kerim cs für kein allzu hohes Unglü> hielt, als er die immenſe Verantwortlichkeit auf jüngere Schultern wälzen konnte. Ein Ehrenmann vom Scheitel bis zur Sohle, wie es deren wenige in der ganzen Türkei geben dürfte, war Abdul Kerim dur ſeine natürlichen Anlagen für dieſen Poſten {hon deshalb niht geſchaffen, weil vor Allem die dazu unbedingt nothwendige Thatkraft ihm fehlte und er dem allen türkiſhen Würdenträgern anhaftenden Fehler in hohem Grade huldigte: äußerſt langſam und bedächtig vorzugehen und einen guten Theil von dem, was er heute verrichten konnte, auf morgen zu verſchieben,