Illustrierte Geschichte des Orientalischen Krieges von 1876-1878. : mit 318 Illustrationen, Plänen, Porträts und zwei Karten

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moraliſhe Moment des türkiſhen Erfolges in's Auge zu faſſen. Es war nun möglich, daß die Pacificirung ungeſtört erfolgen könne, daß die Jnſurgenten und mit ihnen Serbien und Montenegro ſi< entmuthigt fühlten, es war aber auh möglich, daß in Serbien und Montenegro nun erſt die Volksleidenſchaften aufflammen und man in dem Siege des Halbmondes das Signal zum Eingreifen erbli>en würde.

Der Auſſtand in der Herzegowina wie in Bosnien ſchien gebrochen. Es zeigte ſih, daß niht nux die Zahl der Kämpfenden eine viel geringere war, als die hochtrabenden ſlaviſchen Berichte hatten ahnen laſſen, ſondern auch die Führung hatte fi< als unfähig erwieſen dur< den Capitalfehler, das Unterlaſſen der Beſezung jener Engpäſſe, welche von Klek aus in das Fnnere des Landes führten.

Die glü>li<hen Erfolge der Türken waren indeſſen jeßt {on ohne weſentlihes Gewicht gegenüber der Entſcheidung, welche in den nächſten Tagen von dem Fürſten, dem Miniſterium und der Skupſchtina in Serbien getroffen werden mußten, denn nur wenn es gelang, dem Rathe der Mächte gemäß, in Belgrad der Beſonnenheit und klugen Erwägung die Oberhand zu verſchaffen, dann war ein baldiges Ende des Kampfes und der Gewinn eines ruhigen Bodens für die diplomatiſchen Verhandlungen zu hoffen. Ein neuer Zwiſchenfall war leider nicht geeignet, eine ruhigere und günſtigere Auffaſſung der Situation zu fördern. Es handelte ſi< wohl nur um eine ſogenannte von Civil-Türken ausgeführte Grenz-Razzia, wobei es weniger auf politiſche Feindſeligkeit als auf den Raub von Vieh abgeſehen geweſen ſein mochte, aber es war vorauszuſehen, daß darob, uneingedenk der zahlreichen Banden, wel<he vom ſerbiſchen Territorium aus in den vier lezten Wochen auf türkiſches Gebiet drangen, in ganz Serbien die Entrüſtung in hellen Flammen auflodern würde. Man ſprah gleih von „militäriſ<hen Maßnahmen“, die im Süden Serbiens verfügt werden ſollten. Außerdem wollte die ſerbiſhe Regierung den Vorfall von Stola zum Gegenſtande einer diplomatiſchen Mittheilung an die Mächte machen. Eventuell, drohte man, ſ{<heue Serbien vor dem Kriege niht zurü>, den es wegen der Erbitterung des ſerbiſhen Volkes ob dieſes Friedensbruches zu führen gezwungen ſein dürfte.

So bedrohlich fi<h dies auh auf den erſten Blik ausnahm, ſo war doh kaum daran zu zweifeln, daß man in Belgrad wegen des Stolaßer JFncidenzfalles, der dur<h die Unterſtüßung der

Jnſurrection von ſerbiſhem Boden aus reihli< aufgewogen wurde, eine Feuershrunſt herbeizuführen, Anſtand nehmen würde. Bei dem Umſtande, daß die Türken in militäriſher Beziehung an der ſerbiſhen Grenze bei Niſſa niht unvorbereitet waren, konnte ein unvorſihtiges Beginnen von ſerbiſcher Seite den Türken leiht die lange geſuchte Gelegenheit bieten, für allerlei früher von Serbien erfahrene Unliebſamkeiten ſih jet die lang erhoffte Genugthuung zu verſhaffen. Die Türkei hatte, vorſichtig genug, bei Niſſa ein Beobachtungs-Corps aufgeſtellt, welches troß der „Hunderttauſend Mann Milizen“, die Serbien auf dem Papier ſtehen hatte, der Kriegsſuſt des Vaſallenlandes einen hinreihenden Dämpfer aufzuſeyen wohl geeignet war. Serbien fonnte auf eigene Fauſt die Türkei niht herausfordern, es durfte ſich nicht rühren, wenn es anders niht einen Freibrief des Drei-Kaiſer-Bundes in der Taſche hatte und ſich der nahträglihen Abſolution ſeiner Handlungen ſicher fühlen konnte. Dies aber war kaum der Fall. ODeſterreich durfte es niemals dulden, daß fi<h an ſeiner Südgrenze ein größeres Slavenreich entfaltete und ihm, der Großmacht, als Rivale an die Seite trat. Oeſterreih mußte eine ſolhe Gefahr im Keime erſti>en und ſelb materielle Mittel niht ſcheuen, wenn ſein bloßes Machtwort nicht genügte, die hochſtrebenden nationalen Geiſter in ihren Schranken zurü>zuhalten.

Selbſt wenn Rußland falſches Spiel ſpielte und die Serben insgeheim ermuthigte und vorwärts drängte, blieb Oeſterreih keine andere Wahl als die Auflöſung der Triple-Allianz und die Jutervention auf eigene Re<hnung. Die Stellung der Mächte zu einander hätte ſi< dann freilich in überraſhender Weiſe geändert. Oeſterreih mußte ſein Gewicht vereint mit demjenigen der meiſten Pariſer Tractatmächte zu Gunſten der Türkei in die Wagſchale werfen und es auf einen Conflict mit Rußland ankommen laſſen. Alle dieſe weitreichenden - Combinationen waren freilih vorerſt und hoffentli< no< auf lange Zeit ziemli<h weſenlos; aber Niemand glaubte an ein dauerndes Einvernehmen mit dem nordiſchen Nachbar. Der Strauß mußte ausgefohten werden, ſobald der „kranke Mann“ ſeinen leßten Athemzug ausgehaucht hatte. Fm Momente aber erfreute ſih der Patient noh eines vielverſprehenden Geſundheits-Zuſtandes und ſtellte ſi<h in Poſitur, als ob er alle ſeine unbotmäßiget Vaſallen der Reihe nah niederboxen wollte.