Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens : mit Original-Beiträgen der hervorragendsten Schriftsteller und Gelehrten. Bd. 1.
Von Theodor Winkler. 207
Selbſt Friedrich der Große fand es ſpäter niht unter ſeiner Würde, ſich durch ſolche „geheime Expedilionen“, die ein gutes Stü Geld foſteten, in den Beſiß von werth= vollen politiſchen Nachrichten zu ſeen. Jn Sachſen war es namentli< der berüchtigte Miniſter Graf Brühl, der die Briefſpionage im weiteſten Maße betrieb, und ſein Vertrauter, Hofrath v. Siepmann, verbrachte ganze Nächte in der „geheimen Expedition“, um z. B. aus den Briefen zu erſpähen, welche Anhänger König Stanislaus von Polen unter ſeinen Landsleuten beſaß. :
Fn Wien war ein Flügel des kaiſerlichen Schloſſes, die ſogenannte Stallburg, zum ſchwarzen Kabinet eingerichtet. Seden Abend um 7 Uhr wurde die Poſt geſchloſſen und die Wagen fuhren ab, ſ{heinbar na< dem Orte ihrer Be= ſtimmung. Sie begaben ſi<h aber in den Hof der Stallz burg, deſſen Thor ſich ſogleih hinter ihnen ſ{loß. Hier wurden die Briefbeutel geöffnet, die Briefe ſortirt und alle die bei Seite gelegt, welche geleſen werden ſollten. Zu dieſen gehörten regelmäßig alle Schreiben, die an Geſandte, Bankiers und andere einflußreiche Perſonen gerichtet oder von ihnen geſchrieben waren. Beſondere Aufmerkſamkeit erregten alle für das Ausland beſtimmten Briefe. Dieſes ſchwarze Kabinet war übrigens zuglei<h Werkſtatt und chemiſches Laboratorium. Man hatte dort nicht nux Siegel= la> aller Art und eine Menge von Petſchaften, fondern au< Snſtrumente zum Ablöſen der Siegel und chemiſche Prä= parate, welche theils dieſe Operationen unterſtübten, theils zu Fälſchungen dex Briefe felbſt dienten. Jn der Stallburg waren vorwiegend Franzoſen beſchäftigt, deren Üüber-