Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens : mit Original-Beiträgen der hervorragendsten Schriftsteller und Gelehrten. Bd. 7.
132 - Sommerblumen.
Ein Bli> in das bleiche Geſicht ihrer Schußbefohlenen genügte, um das mütterliche Gefühl der guten Frau zu weden; ſie trat ſogleich auf die andere Seite der Schwan= fenden und führte ſie vereint mit dem Medicinalrath in die Laube. Ein bequemer Korbſtuhl mit Kiſſen und eine Fußbank warteten ihrer. Jm nächſten Augenbli>e war au< Roſinchen mit dem Glaſe Milch zur Stelle, und dann über= ließen Alle die Kranke einem ungeſtörten Ausruhen.
Anfänglich ſ<hwindelnd und betäubt von der exrſten Kraftanſtrengung, empfand Melanie bald ihre Lage mit dem füßeſten Behagen. Sie hatte das müde Köpfchen über den Rüen des Stuhles zurü> an den Stamm eines blühen= den- Buſhes gelehnt. Leiſe ſchwankte dieſe Stüße im war= men Luftzuge, leiſe ſchwankten Zweige und ‘duftende Blüthen über ihr, und wie gewiegt in den Armen einer liebevollen Mutter, empfand ſie zum erſten Male ſeit ihrer Krankheit das Daſein mit Luſtgefühl. Das Aufgeben des Strebens und Hoffens, die Gleichgiltigkeit, mit der ſie bis jet oben im engen Stübchen am Fenſter geſeſſen, wich gleich in die: fen erſten Stunden, in denen ſie ſi< von warmer Sommer= luft umfangen fühlte, einem neukfeimenden Lebenstriebe. Sie konnte ſih no< niht zu beſtimmtem Wollen oder Thun aufraffen, aber es ward heller vor ihren matten Blicken: eine Ahnung, daß die Neigung, etwas anzugreifen, ſich einſtellen könne, daß auch die Kraft dazu wieder ev= ſtarken werde, ſtieg in ihr auf. Jn halbem Träumen und halbem Genießen vergingen ihr die Vormittagsſtunden raſch.
Gegen ein Uhr betrat die Regierungsräthin im Viſiten=anzuge den Flur des Bredemann'ſchen Hauſes. Rach einiger