Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens : mit Original-Beiträgen der hervorragendsten Schriftsteller und Gelehrten. Bd. 7.
196 Herr Ulrich v. Lichtenſtein.
„Laßt es gut damit ſein,“ hörte er ihre kalten Lippen darauf ſprechen, „oder Jhr erreget meinen Zorn.“
Nachdem Ulrich nochmals betheuert hatte, daß er ihr treu und dienſtergeben bleiben wolle bis in den Tod, be= ſtimmte ſie ihn endlih, indem ſie ihm als hohen Lohn ſeiner Ergebenheit einen Abſchiedskuß vor dem Hinunterz laſſen des Seiles verſprach, ſich wieder zu entfernen. So recht traute der brave Ulrich dieſem kokett gemachten Ver= ſprechen niht; daher bat er ſie beim Hinausſteigen, ihm zum Pfande die Hand zu reichen, und ſie gewährte ihm dies auh. Als man ihn nun an dem SWhlingenſtri> ein wenig hinabließ , ſagte ihm die Liſtige, über das Fenſter= geſims ſih zu ihm beugend, S<hmeichelworte, faßte ihn mit der anderen Hand beim Kinn und forderte ihn zun Kuß auf. Freudig gab Ulrich ihre Hand frei, in denm= felben Augenbli> aber wurde der Strick loëgelaſſen, ſo daß er augenbli>s fo ſchnell hinabfiel, daß es wohl ſein Tod geweſen wäre, wenn er niht Glü> im Stürzen ge= habt hätte.
Da lag ex nun bewußtlos im Graben, und oben [ſpottete man ſeiner. Als ſein Knappe ihm nachgefolgt war, fam ex wieder zu ſi< und jammerte nun, wie ſ{ma<h= voll ex betrogen worden ſei. Der ſchlechte Spaß ging ihm doh hart zu Herzen und ex verließ den Umkreis der Burg mit Zorn über die Treuloſe. Jn Turnieren ſuchte er Troſt und bald trieb er wieder in Oeſterreich ſein Weſen.
Wunderbarer Weiſe kam aber neue Sehnſucht nah der ſchnöden Dame über ihn, und ſein Bote mußte ihr wieder ſeine in Verſe gebrachten Liebesklagen überbringen. Sie