Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens : mit Original-Beiträgen der hervorragendsten Schriftsteller und Gelehrten. Bd. 4.
20 _ Der Talisman des Weibes,
liche Ruhe. Als aber Aliſa in ihren Entgegnungsruf ausbrah: „Verwegene ! Wie: kannſt Du's wagen, hier ſein zu harren |“ überbrauête ein ſo ungezügelter Lärm alle weiteren Worte, Bravorufe, Ziſchen, Pfeifen und Scharren mit den Füßen, daß die Muſik jäh abbra<h und rathlos zu der hinaufſchaute, welcher dieſer ſtitrmiſche Urtheils= ſpruch galt. | Jxmengard hatte eine Empfindung, als ſchnitte Jemand ihre Herzadern von einander, und alles Blut jagte regel= los, wild gepeitſht dur< ihre Glieder. Cine entſeßbliche Schwexe hing wie Blei in ihren Füßen und Armen und machte fie unfähig, auh nur die kleinſte Bewegung zu verſuchen. So gelähmt am Körper, geiſtig gebrochen vor Scham und Entrüſtung, mußte ſie willenlos über ſih ex= gehen laſſen, was Freiberg's Verrath erzeugt. „O, Fluch meinen guten Glauben! Fluh Euch, Jhr falſchen Richter! Fluh meinem treuloſen Genius!“ ſchrie es in ihr auf. Dex Regiſſeur gab das Zeichen zum Herablaſſen des Vorhanges. Da zitterte eine Thräne, ein einziger glühen= der Tropfen in ihren blauen Augen, und damit war der Bann gebrochen. Unerſchro>en trat ſie bis dicht an die Rampe vor und ihren ſchönen, vollen Arm gebieteriſch gegen die proteſtixende Menge ausſtze>end, ſagte ſie laut und vernehmlih: „Wenn Sie glauben, mi< mit einem ungere<ten Urtheilsſpruch erſchre>en zu fönnen oder gar zu vernichten, ſo irren Sie! Auch Sie werden zu dev Exkenntniß gelangen, daß das Gerücht viele Zungen be= ſißt, aber wenig Augen und Ohren. Mein Gewiſſen ſpricht mich in dieſer Stunde frei! Nun mag dex Vorhang fallen !“