Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens : mit Original-Beiträgen der hervorragendsten Schriftsteller und Gelehrten. Bd. 4.
Roman von Georg Hartwig. 21
Ohne das erhobene Haupt zu ſenken vor den lauernden Blien mißgünſtiger Colleginnen ſchritt Jrmengard in ihr Ankleidezimmer zurü>, wo Suſanne ſie laut weinend empfing.
„Laß das!“ ſagte fie herriſh. Darauf ließ ſie ſich frank melden und überließ es der Regie, ſi< in dieſem ſchwierigen Fall zu helfen, ſo gut es eben anging. Bebend vor Ungeduld geſtattete ſie, daß Suſanne den erhißten Körper ſorgfältig vor der rauhen Nachtluft verhüllte. Dabei murmelte ſie fortwährend: „Die Elenden! \ Die Thoren!“ Dex Boden brannte ihr jet auch hier untex den Füßen, wie kurz zuvor in ihrem eigenen Heim. Aus= gepfiffen wie eine Stümperin, ſie, die gefeierte Diva! Darüber hinweg fam Jrmengard nicht während der Nachz hauſefahrt. Stumm, aber mit ſpxe<hendem Auzdru> ſtand fie dann lange vox dem Pfeilerſpiegel und ergöhßte ſich mit grauſamer Selbſtqual an dem Bild einer ausgepfiſſenen Primadonna, bis ihr die Augen zu ſchmerzen begannen und ſie ſich abwenden mußte, um nicht aufzuſchreien vor bitterer Enttäuſchung.
„Was iſt no< echt in dieſem trügeriſchen Leben?“ Sie rief die Frage laut, das flammende, ſ{öne Antliß anflagend gen Himmel gerichtet. „Leidenſchaft, Ruhm, Glanz find Schattenbilder, und auf jedes hätte i<h meine Seele verpfändet! Wie hieß der Rachegott, der damals aus Dix ſprach, Hans Meiſchié? Sage mix alſo, was iſt echt? Etwa Deine Liebe allein?“ Sie zitterte heftiger, als ſie dieſe ewig blutende Wunde wieder auſriß. „Deine Liebe? Dieſe kalte, verhöhnende, grauſame Liebe? O, wäre ich daran geſtorben — mix wäre wohl!“