Bitef

wiederherzustellen, so daß polemisch ausgedrückt, die deutsche Antikentradition historistisch erstarrt ist. Fabritius: So verstehst du die Inszenierung auch als eine Auseinandersetzung mit einer vielleicht museal gewordenen Auffürungstradition antiker Stücke gerade hier in der Bundesrepublik bzw. hier in Köln. Ciulli: Auf jeden Fall, wenngleich dieses Motiv letztlich bei der Stückwahl sekundär war. Schäfer: Dieser Traditionalismus wurzelt wohl auch darin, daß gerade in Deutschland seit dem 18. Jahrhundert eine stark philologische Rezeption antiker Materialen existiert von Winkelmann begründet und im deutschen Idealismus fortgesetzt so daß das historistisch gesonnene 19. Jh. die Antike nur noch als verehrnugswürdigen Husschatz behandelt hat. Einzelne Leute aber, Hegel oder auch Hölderlin, die die Vorstellung der Antike kritisch ihrer Welt entgegenhielten, waren chon in der 2. Häfte des 19. Jahrhunderts verschwunden. Übrig blieb allein eine philologische Tradition. Fabritius; Nun verdanken wir aber dieser Tradition die einzige Überzetzung des Zyklops ins Deutsche. Was sind die sprachlichen Charakteristika dieser alten Übersetzung, was habt ihr sprachlich mit diesem. Text gemacht und wie habt ihr ihn bearbeitet? Schäfer: Es ist nicht die einzige Übersetzung, aber es ist die erste vollständige Übersetzung von Wilamowitz-Möllendorf. Möllendorf war nicht nur ein bedeutender Graecist, zu Beginn seiner Laufbahn war er zunächst einmal Kritiker und ist dadurch berümt geworden, daß er Nietzsches Buch »Die Geburt der Tragödie« zerrissen hat. Warum wir diese Übersetzung wählten und keine neuhre gründet darin, daß Möllendorfs Text den Vorteil einer großen Genauigkeit und Spontanität in der Sprache besitzt und dies ohne das Bemühen, nun versliche Einheiten krampfhaft herzustellen und die Texte dadurch zu glätten, Sie ist fragmentarisch auch im Übersetzungsvorgang selbst, und bietet dadurch die Chance, andere Interessen eingreifen zu lassen, z.B. solche, die wir in das Material stellten. Die Art und Weise unserer Bearbeitung bestand zunächst darin, Restbestände des alten Philologendeutschs , auszumerzen, zu ersetzen durch für unsere Ohren angemessenere Wortkontexte. Sodann haben wir, da dieses Stück sehr kurz und in einzelnen Szenen unzugönglich ist, Szenen neu erfunden, die helfen sollten, bestimmte Probleme konkreter zu machen. So entstand z. B. eine Szene über Trojas Vernichtung, auch der Schluß ist gegenüber der Vorlage verändert, vieder näher an Homers Epos herangerückt, da dieses von größerer Härte und Brutalität bestimmt ist. Fabritius: Das sind Bearbeitungen von dir und nicht Materalien, die ihr aus anderen Stücken entnommen habt? Schäfer; Das sind Bearbeitungen von uns und Materialien aus dem Homer. Fabritius: Du hast eben chon den Chor angesprochen. Du hast vier Schauspieler mit denen du eingetlich

keinen Chor darstellst. Ciulli: Keinen Chor, wie man ihn sich traditionell vorstellen mag. Nun ist der »Zyklop« ein Satyrspiel und der Chor besteht aus Satyrn. Satyrn aber sing nur eine literarische Vorlage, keine realen Figuren, Figuren aus einem mythologischen Komplex, die nur durch konkrete Analogien zu uns realistisch werden können. Verkürzt galt für uns das Satyrische als das Kleinbürgerliche, in deren Welt eine spezifische Organization der Sexualität und auch der Gewalt existiert. So sind auch die Satyrn in unserer Bearbeitung individualisiert, vier verschiedene Kleinbürger, deren Einheit nur dann präsent wird, wenn das Verhalten von Angst bestimmt ist oder aber gemeinsam bestimmte Lüste zu gewinnen sing. Fabritius: Es gipt ja mehrere Punkte der Inszenierung, wo ihr frei associativ mit dem Material des Stückes umgehend, in dieser Richtung gearbeitet habt. Das auffälligste Momment ista ja sicher das Vorspiel. Cshäfer; Zu dem Vorherbesprochenem: warum wählt man ein solchen Material? Sicherlich darum, da man meint, dort Probleme vorzufinden, die noch ihrer Lösung harren. Und angesichts der Satyrn heißt das, daß man bei diesem Dionysosgefolge ein Verhalten erlebt, das uns heute so fern nicht ist. Wesentlich bestimmt das Verhalten der Satyrn durch einen verdeckten Hedonismus, nicht chorisch organiziert, sondern isoliert auf den Gewinn von Lust ausgehend. Dies nötigt auch zur Individualisierung. Zu zeigen war so die Einfachheit von kleinen Bürgern, die voneinander schon getrennt, sich in die eigene Tasche arbeiten. In der Inszenierung taucht dieser Aspekt vielfach auf, immer dann, wenn Gegenstände der Lust, so der Wein ins Spiel kommen und die Hemmungslosigkeit, die daraus entsteht, führt auch zu jener Aggression mit der sich die Satyrn untereinander begegen. Die Szene, in der wir die spezifische Form deutschen Karnevals vorführen, entstand, um Jenes Gewaltverhalten der Kleinbürger sichtbar zu machen, Ciulli: Ähnlich verhält es sich in der Szene, in der die Satyrn Odysseus nach Troja fragen. Ihr Interesse an dem Unternehmen reduziert sich auf die Frage, was nach Kriegsende mit den trojanischen Frauen geschehen sei. Sie hoffen Obzönes zu hören, um ihrer Phantasie Nahrung geben zu könen. Ist dies auch von Euripides nicht intendiert, so schien uns diese Szene wichtig zur Bestimmung des Kleinbürgertums. Schäfer; Zudem bezeichnet heute der Begriff Kleinbürger ein bestimmtes Verhaltensspektrum und läßt sich nicht stur auf eine ökonomische Kategorie reduzieren. Ciulli: Der Prolog, nach dem du zuvor fragtest, zeigt ebenfalls eine eher egoistische Verhaltensweise der Satyrn, da sie, die Geretteten, hier das gesamte Geschehen auf Sizilien vermarkten. Uns interessierte zudem, was aus den Satyrn nach ihrer Befreiung durch Odysseus geworden ist und