Bitef

wahrscheinlich war uns, daß sie aus der Blendung des Zyklopen Nutzen ziehen werden, Schäfer; Zuglech bietet der Prolog auch einen Blick auf mögliche Entstehungsformen des Mythos; daß sie sich eben nicht nur aus dem Urschauder gegenüber der Natur sich bilden, sondern daß Mythen selber schon Marktformen waren, sowie der Markt heute ja auch neue Mythen produziert. Fabritius: Daraus hat sich eine besondere theatralische Form des Prologs ergeben und eine Einbeziehung des Publikums in den Gesamtablauf des Stücks. Ciulli: Zuerst ist zu sagen, daß der Prolog aus Texten der Schauspieler entstanden ist. Die Einbeziehung des Publikums ins Spiel stand für uns von Anbeginn fest und der Prolog erlaubt, sich auch als Publikum darauf vorzubereiten. Diese offene Weise mit dem Publikum umzugehen, hat auch mit der Art zu tun, in der diese Stücke geschrieben sind. Die griechischen Satyrspiele haben einen stark integrierenden Charakter und das Publikum gewinnt durch seine Beteiligung einen prägnanteren Eindruck vom Geschehen. Schäfer: Auch meinten wir, eine zu dem Satyrspiel adäquate Form finden zu müssen und da die Satyrspiele ja die abschließenden Feste nach den dionysischen Feiern waren, orgiastische Feste, ist eine solche Form kaum denkbar durch eine Trennung von Publikum und Spiel. So existierte schon unter diesem Aspekt die Nötigung, das Publikum zur Teilhabe am Spiel zu bewegen. Ein zweiter Punkt, der die Einbeziehung des Publikums empfiehlt, wird durch die Fabel selbs diktiert, denn durch das Teilnehmen-Müssen macht der Zuschauer eine Bewegung durch, die wahrlich viel zu denken gibt. Zum Beispiel; wie weit kann man gezwungen werden, bestimmte Handlungen auszuführen, relativ bewußtlos auszuführen, etwa die Blendung des Zyklopen, ein Vorgang, der auf eine Weise auch schauerlich ist, der aber bis zu allen heutigen Aufführungen stets vom Publikum vollzogen wurde. Nie haben sich Widerstände gezeigt und dies gibt bei allem Theater doch zu denken. Ciulli: Eine Verweigerung mitzumachen, wäre ja auch eine Teilnahme an der Kommunikation. Ein anderes Beispiel: nachdem die Satyrn den Odyseus’schen Wein getrunken haben, versuchen sie sofort sexuellen Kontakt zut den Zuschauern zu gewinnen, doch in krampfhafter, winderlicher Weise, so wie es in der heutigen Form des Karnevals, zumal hier in Köln geschieht. Die, Art, in der man hier eingeladen wird, ist so peinlich, daß dieser Versuch scheitern muß. Und wenn sich das Publikum indieser Szene verweigern würde, wäre dies sehr richtig. Fabritius: Nun verstehe ich euren Versuch, das Publikum näher ans Geschehen zu rücken, auch als Versuch, eine tradierte Theaterform fallen zu lassen. Gibt es bei den bisherigen 25 Vorstellungen Erfahrungen, daß das guterzogene deutsche

Theaterpublikum samt seiner konservativen Haltung für solche Vorgänge offen ist? Oder ist es doch nur der Zwang der Öffentlichkeit, der die Teilnahme erbringt? Giuli i : Die Erfahrung ist positiv und erschreckend zugleich. Umstandslos macht das Publikum immer alles mit, ohne sich zu fragen, ob die Handlung eigentlich legitim ist. Würde man noch weitergehen, so scheinen die Zuschauer auch zu realistischen Gewalttaten bereit. Das einer sich sagt, bis hierhin und nicht weiter, haben wir nicht erfahren. Dies ist angesichts des guterzogenen deutschen Publikums interessant, ein Publikum mit einer langen Theatertradition. Doch was passierte, wenn man einem naiven Publikum gegenüberträte, ob dieses siech verweigern würde, weiß ich nicht. Bei jungen Leuten, die sehr selten ins Theater gehen, erleben wir, daß sie bedingungslos mitmachen. Uns war es übrigens nie wesentlich, daß alle unbedingt mitmachen sollen, uns interessierte genau der Moment, wo man als Publikum sich zu entscheiden gezwungen wird. Schäften Klar jedoch ist, daß der Druck der Öffentlichkeit, ein wohl fürchterlicher Druck, zu Handlungen treibt, die man im stillen Kämmerlein nie vollziehen würde. Fabritius: Ein ebenfalls wichtiges Merkmal ist die Besetzung des Zyklops mit einer Schauspielerin. Dies hat bei euch inhaltliche Gründe, die sich ja auch in der gesamten Interpretation der Zyklopfigur gegen die bisher tradierte Auffassung dieser Rolle zeigen. Schäfer: Ja. Wie eben schon erwähnt, deutet auch Euripides den von Homer überlieferten Mythos um. Schon hier ist der Zyklop nicht nur der Barbar, der die wohigesonnenen zivilisierten Griechen niedermacht, sondern zugleich Repräsentant einer Lebenskuitur, die dem Untergang geweiht ist. Dieses Euripides’sche Interesse ist angesichts der letzten 200 Jahre Kolonialgeschichte von großer Brisanz. —• Den Zyklop mit einer Frau zu besetzen war auch durch andere Überlegungen geleitet, nämlich erst einmal die Ungiaubwürdigkeit dieser Figur vorzuführen, die eine von Homer denunzierte Figur zu sein scheint. Denunziert, da der Zyklop als Kind des Poseidon und der Nymphe Thoa einer Göttergeneration angehört, die von den Olympiern des Zeus vertrieben wurden. Und die bloße Existenz des Zyklops scheint diesem neuen System zu schaden. Daß er überhaupt noch existiert, bringt die Legitimation der Olympischen Ordnung ins Schwanken. Odysseus ist als Beauftragter dieser Götter der, der die Grenzen dieser Welt abreist, an denen ein zum System Anderes sich noch aufhält, um eben die Andere, Fremde unter Kontrolle zu bringen. Die Art und Weise dieser Unternehmen sind bekannt. Den Zyklop, ein mehr naturhaftes Wesen, mit einer Frau zu besetzen, folgte dann auch der Idee, daß der Zyklop, wenn er eine fon den Griechen denunzierte