Bitef

Figur ist, anderscherum auch eine schöne Figur sein kann, zumindest aber eine unbestimmte andere Figur. Und in einer Männergesellschaft ist eine Frau eine andere Figur, mit anderen Bewegungsabläufen, mit anderer Form des Sprechens, mit anderer Stimme. Mit einer kaschierten Pappfigur würde sich allein ein Märchencharakter ergeben, der die Problemkomplexe vermindert. Fabritius: Aus diesem Verständnis der Figur ergibt sich dann logisch die Interpretation des Odysseus, der imperialistische Züge trägt, als Kolonialisator auftritt, dem ihr in dieser Richtung klare Bildmomente beigegeben habt, die ihn zu Vorgängen des 19. und 20. Jahrhunderts in Beziehung setzen. Ciulli: Ja, dies hat auch mit dem Versuch zu tun, alte Fragen neu zu stellen. Wenn man gemeinhin an die Figur des Odysseus denkt, so erinnert man sich an Homers glorifizierende Beschreibungen, eingedenk der positiven Funktion, die sie in der Weltbegründung hat. Sieht man diese Figur aber aus der Euripides’schen Perspektive, so ist schon infrage gestellt, ob das Aufreißen der Grenzen der bekannten Welt, dieses aufklärerische Element, das ja auch Columbus beikommt, wahrhaft aufklärerisch ist. Fabritius: Also eine Diskussion des Fortschritts, ein Infragestellen einer ungebrochenen Fortschrittsgläubigkeit. Schäfer: Wir haben eigentlich nur einen spezifischen Aspekt der Odysseus-Figur vorangetrieben, der sich vielleicht abdecken läßt mit dem Begriff der Vernunft. Odysseus als Repräsentant des vernünftigen, aufgeklärten Griechenlands, das mehr oder weniger diese zivilisatorischen Gaben in die Welt weiter verteilt, ähnliche Vorgängen in der Geschichte Südamerikas. Und zudem ist Odysseus durch das Stichwort des Listigen bekannt, wobei List auch immer als ein Element der Intelligenz verstanden wird. Und diese drei Elemente Vernunft, List und Intelligenz frägwürdig zu machen entsprang dem Interesse an der Frage, ob die Aufklärung, die durch eine solche Vernunft begründet ist, auf der Basis der diskursiven Logik, nicht doch ihre Grenzen gegenüber der Natur erfährt, die sie auch nicht durchstoßen kann. In dem Moment, in dem ein naturhaftes Wesen dieser Vernunft gegenübertritt, wird diese Vernunft zu einem Abstraktum, zeigt

sich in ihrer Selbstrechtfertigung als gewalttätig. Da ein Zug der Vernunft immer darin liegt, das, was nicht als vernüntig gilt, durch die eingene Definition mitzubestimmen, tendiert die Vernunft zur Beherrschung des Nicht-Vernünftigen, Unaufgeklärten, wird jenes Naturhafte, Zyklopische direkt bewertet in der Relation zwischen Ordnung und Chaos, Die Vernunft als ordnendes Prinzip soll die Welt aus dem Chaos herausführen: zu fragen bleibt jedoch, ob das Chaos nicht innerhalb der Ordnung fortexistiert, so daß Ordnung nicht mehr als ein Schein bedeutet und damit reales Chaos ist. Fabritius: Damit endet euer Satyrspiel als Tragödie. Zurück bleibt der zerstörte, seiner Möglichkeit, sich naturhaft in seinem Bereich auszulebende Zyklop. Und inszenatorisch ist es ja auch so, daß diese Figur als letztes Bild der Aufführung ihr Schicksal akzentuiert. Ciulli: Das Ende ist eine realistische Möglichkeit, nicht eine theater-tragische Form. Es ist ja bezeichnend, daß Odösseus den Zyklop nicht tötet und dieses Nachspiel ist bei uns auch eine Form der Kolonialisierung des zyklopschen Bereichs durch das Publikum. Der Geblendete muß bleiben, nicht aber als Märtyrer oder als eine ideale Figur, er muß einfach weiterleben und das Publikum spürt schon, was es heiß, wenn der Zyklop nur noch so da sitzt, mit uns, als blinder Bettler aber nicht sterben darf, Schäfer: Das ist ein Eindruck der wirklich wichtig ist. Daß der Zyklop eben nicht von Odysseus ermordet wird sondern nur geblendet, ermöglicht den Griechen ja auch die Legitimation der eigenen Welt, der eigenen Handlungsweise und es ist zudem notwendig, daß die Satyrn von Odysseus als ideologisches feedback benutzt werden, die, wie es unser Vorspiel zeigt, diesen Vorgang tradieren werden. Würde der Zyklop der realen Vernichtung anheim gegeben, so könnte er als reales Beispiel zur Rechtfertigung des eigenen Systems nicht mehr dienen. Der Tatbestand aber, daß ein souverän sich dünkendes System, das sich aber schwach weiß, die eigene Schwäche ahnt und sie verdrängen, exportieren muß, läßt den Zyklop als Anschauungsmaterial dieser Rechtfertigung übrig bleiben.