Bitef

warten. Für sie erweisen sich die Heroenkämpfe (Marx) Dantons und Robespierres als ökonomisch uninteressant. So ist die Entwicklung der beiden zu Eckenstehern der Geschichte (Büchner) folgerichtig. Und nochmals, weder Danton noch Robespierre bieten ein soziales Programm zur Befreiung der Massen. Weder in der Historie noch im Stück. Darüber hinaus waren beide an der Vernichtung der Hébertisten beteiligt, die eine Veränderung der Besitzverhältnisse durchsetzen wollten. Dantons und Robespierres Kampf Wie der neue Mensch beschaffen sein soll erweist sich als irreal. Der epikuräische Mensch und der asketische Tugendmensch sind beides Denkmodelle, die ohne Änderung der sozialen Situation geplant werden. Und das ist der neuralgische Punkt der Revolution von 1789, Darum hat Büchner diesen Zeitpunkt für sein Stück gewählt. Anstatt die Revolution in ökonomischen Bereichen weiterzuführen, verwickeln sich die Kontrahenten in Selbstfindungsprozesse um die Erhaltung der eigenen fraktionellen Macht. Die politische Aussage Büchners ist demnach nicht in der Auseinandersetzung zwischen Danton und Robespierre zu suchen, sondern in deren Unvermögen, die eigentliche geschichtliche Notwendigkeit zu erkennen. Diese Erkenntnis war Büchners eigenes politisches

Programm. Sein Programm war die ökonomische Revolution (Hessischer Landbote) und nicht eine rousseauistische. Büchner selbst stand im Brennpunkt dieser grundsätzlichen Auseinandersetzung, wie die Zeugnisse seiner illegalen Tätigkeit belegen (Auseinandersetzung mit dem liberaldemokratischen Flügel der Weidig-Gruppe in Gießen), Warum Büchner diese Auseinandersetzung auf das Theater verlegt, hat seine Ursache in seiner Biographie (bevorstehende Verhaftung). Theater als Sinnbild für die Welt taucht schon im Barock als emblematisches Modell auf. Bei Büchner ist nicht nur der theatralische Flandlungsablauf ein politisches Erkenntnismodell, sondern der Begriff des Theaters selbst: Wir stehen alle auf dem Theater, und werden am Ende im Emst erstochen (Büchner-Danton). 6. These Dantons Tod ist ein theatralisches Modell und kein naturalistisches Abbild von Wirklichkeit, Das geht aus dem Stück selbt hervor. Nicht nur die zahlreichen Stückzitate von Shakespeare, Grabbe, Brentano, Heine, Goethe weisen das aus, sondern Büchner weist im Stück selbst darauf hin: Gehen Sie ins Theater, ich rat es Ihnen! In seinem Kunstdialog zwischen Camille Desmoulins und Danton wendet er sich gegen eine ver-

klärte Idealvorstellung vom leben, die er für verlogen hält. Er setzt dagegen die Realität der Gasse. Das Stück als solches ist in sich selbst antithetisch: historische Vorgänge umfunktioniert zum theatralischen Denkmodell - Theater und Wirklichkeit. Bei der Realisierung des Stückes auf dem Theater müssen demzufolge theatralische Mittel verwendet werden. Diese Mittel leiten sich aus dem Bänkelsänger, aus den kommentierenden Liedeinlagen, aus der Theatralik der Szenen her. Nicht umsonst tritt der Souffleur Simon auf. Um das Anliegen Büchners theatralisch sinnfällig zu machen, liegt es nahe, die Mittel des Theaters sichtbar zu machen. Das kann dadurch erreicht werden, wenn die Schauspieler nicht so tun, als wären sie selbst historische Persönlichkeiten, sondern indem sie die Möglichkeit nutzen, mehrere Figuren antithetish vorzustellen. Dieser theatralische Trick ermöglicht es, Situationen und Rollenerhalten der Figuren als Modelle zu erleben. Paradoxerweise hat diese Darstellungsweise mit Büchners eigenem Leben Parallelen. 7. These Büchners Stück Dantons Tod ist kein Stück der direkten Aussage, sondern der indirekten. Büchner war Realist genug, daß er die Erfahrung seiner illegalen revolutionären Tätigkeit, die

ihn fortwährend zur 1 arnung und zu einem blitzschnellen Rollenspiel zwang, auch bei seinen literarischen Produktionen anwandte. Sein sheinbarer objektiver Dokurnentarismus von sogenannten Schreckensbildern aus der Französischen Revolution (Erstveröffentlichung) diente dazu, überhaupt gedruckt zu werden. Wie recht er damit tat, erhellt sich daraus, daß in dem Kreis von Leuten, in dem sein Stück zum ersten Mal von Gutzkow vorgelesen wurde, bereits ein Spion Metternichs eingeschleust war. Der Trick Büchners besteht nun darin, daß er durch den theatralischen Realismus seiner Figuren Betroffenheit auslöst, die eine Auseinandersetzung mit seinem Anliegen provoziert, über den historischen Stoff hinaus. Zu dieser indirekten Aussage gehören auch Büchners realistische, zeitbezogene Bürgerszenen im Stück. Seine Besitzlosen waren in der Lage, ihre Magenfrage zu formulieren, nicht aber ein ideologisches Gegenprogramm. Was er zeigen konnte, war ihre Verletzlichkeit, ihre Irrtümer, ihre Verzweiflung, die in Hilflo : sigkeit und Aggression umschlug. Karl Marx gab seine Dissertation Differenz der demokratischen und epikureischen Naturphilosophie am 6. April 1841 bei der Pholosophischen Fakultät der Universität Jena ab. Büchner starb vier Jahre vorher