Bitef

pressen, um im Schmerz das Skandolon bewußt zu machen - das hat auch immer einen religiös-moralischen Impetus. Bei ihm gibt es keine Kompromisse. Wie es die Bibel forder, ist sein Wort ja oder nein, nie vielleicht oder lauwarm. Er orakelt nicht zwischen den Zeilen, sondern kondensiert einen Stoff wie jetzt bei seiner Macber/t-Uraufführung in radikalster Manier. Die Shakespeare-Vorlage bedeutet für Kresnik Blut und Leichen und wie ein Kleingeist bar jeglicher Skrupel an die Macht kommen will. Ohne Umwege steuert Kresnik auf sein Ziel zu. Hebt sich der Vorhang das erste Mal, gibt er den Blick frei auf ein weißes Leichenschauhaus. In zwölf Wannen liegen Tote, derartig naturalistisch, daß einem Schauer über den Rücken laufen! Wie bei einem Dia-Vertrag ändert sich die Szene in rascher Bildfolge. Die Leichen werden immer abstoßender. Eine gewaltige Eisentür im Hintergrund öffnet sich unter lautem Getöse, und ein artiges Priesterlein betritt den Raum. Es trägt einen Zinneimer keß an die Bühnenrampe, als habe es milde Gaben darinnen, um sie an

Arme zu verteilen. Aber es schüttei blutige Eingeweide in ein Bassin des Orchestergrabens, als sei es Gehilfe eines Pathologen oder Chirurgen. An den Wänden füllen sich dazu symbolisch Plastikschläuche mit rotem Lebenssaft. Nach solcher Schocktherapie läßt Kresnik endlich tanzen. Die Typen Shakespeares sind Metaphern und Triger für Kresniks Thesen. Lady Macbeth zittert vor neurotischer Angst. Doch sie treibt auch den Gatten an, Karriere zu machen. Und er handelt konsequent danach. Politik heißt für ihn erotisches Vergnügen. In einem pantomimischen Tänzchen mit König Duncan (großartiger Harald Beutelstahl) agiert er mit homophiler Lust. Kresnik will vermitteln, daß machtgierige Politiker oft sexuell verkrampft sind, eigentlich nur sich selbst und ihre Posten lieben. Dann marschieren die drei Hexen ein, in militärischer Uniform, adrett und forsch. Nach außen erscheinen sie sauber und spröde, im Inneren brennt libidinöses, zuweilen geiles Feuer. Das wird deutlich, wenn sie sich ausziehen, sie tragen schwarze Reizunterwäsche, tönten Macbeth erotisch an und nehmen ihn zur

Brust. Er säugt wie trunken Blut au den reichlich fließenden Brustdrü sen. Machtrausch ist Blutrausch, Po litiker sind Vampire. Kresnik vermittelt seine Botschafter klar und eindeutig. Dabei scheut e: kein Klischee, damit ihn auch de: geistig unbeweglichste Zuschauei noch verstehe. Sein Macbeth ist zwai eine Prototype für Machtgier, aber induktiv ist unser armer Uwe Barschei gemeint. Am Schluß windet ei ein Handtuch um den rechten Unterarm und legt sich tot in die letzte Badewanne, genau in jener Pose, die sattsam durch das indiskrete „Stern“ Photo bekannt ist. Aber das Stück watet nicht nur im Leichensee, sondern offenbart auch sensible, tänzerische Momente. Die drei Hexen kreiseln zu Walzern, die Komponist Kurt Schwertsik vierhändig am Klavier einspielen läßt, wie die einst berühmten Wiener Schwestern Wiesenthal. Weite Glockenröcke schwingen im Dreivierteltakt. Die Musik greift Themen von barokkét bis moderner Schattierung auf und klingt ungemein tänzerisch, betont durch lyrische Momente den Kontrast zum Schrecken der Chore-

ographie. Zwischendurch fallen dröhnend Bühnengeräusche ein wie zuknallende Türen und harte Schritte, die über alles hinwegmarschieren, daß kein Leben übrig bleiben kann. In einer Szene gegen Ende des Balletts gibt sich Kresnik bekannt gigantoman und sensibel. Wie in Cats oder im Märchen steht ein riesiger Kaffeetisch mit Stuhl auf der Bühne, dje bestens disponierten Tänzer kommen wie die sieben Zwerge mit Schneewittchen daher. Sie lieben und spielen entzückend. Doch das idyllische Bild wird rasch zerstört. Es darf bei Kresnik nie lange Zeit Ruhe geben. Arzte mit Psychiatergehabe treten ein. Sie lächeln die Keinen an wie jene Naziärzte, die Kinder vergasen ließen. Dann nehmen sie forsche Haltung an, fesseln Schneewittchen, vergewaltigen und töten sie. Nun folgen die Zwerge. Einer nach den anderen wird erwürgt, totgetreten, einem weiblichen mit Lust das phallussymbolische Stuhlbein in den Unterleib gerammt. Von Gottfried Helnwein stammt das imposante, die Choreographie verstärkende Bühnendekor. Kresnik hat ein aufrüttelndes Tanztheater geschaffen, das zwar mit ver-

schlüsselten Bildbotschaften, aber stets eindeutig arbeitet. Wenn die Gruppe mit Koffern flieht, denkt man an Juden in der NS-Verfolgung, bei toten Müttern mit Kindern an .Argentinien oder Chile. Blutiges Machtstreben ist für den Choreographen perpetuierter Akt einer Ersatzbefriedigung des kleinen Strebertums ohne Rückgrat. Kresnik kämpft leidenschaftlich um eine bessere Welt. Im Macbeth wird es deutlichst gezeigt. Die Kompanie setzt die Botschaften und Signale engagiert um. Susana Ibanez ist eine sensible Lady, Joachim Siska ein empfindsamer Macbeth, auch Maverick Quek als Banquo und Robert Earl Wilson als Priester spielen beeindruckend. Dieses Macbeth-Ballett erscheint zwar brutal, besitzt aber auch feinsinnige Momente. Ein überzeugendes Lehrstück. Roland Langer, Frankfurter Rundschau, 13 Feb. 1988,

Das Drama als Hackstück Vorhang auf, Vorhang zu: eine Reihe kurzer, böser Szenen wie Filmeinstellungen. Die Bühne - ein weißer, steriler Schlachthofraum mit einem riesigen Tor wie für ein Schloß oder Gefängnis - ist mit einem Dutzend Badewannen bestückt. Ein farbiger Priester kommt durchs Tor und kippt einen Eimer mit blutigen Innereien in den Orchestergraben. Ein Paar, sie im roten Abendkleid, er im schwarzen Jogginganzug, trägt eine in Tücher gewickelte Leiche herein und legt sie in eine der vorderen Wannen. In der nächsten Szene schauen aus den Badewannen Frauen mit Babypuppen ira Arm. Dann stehen ein Dutzend Mumien herum, und ein Gekrönter krönt sie mit goldenen Papierkronen. Im nächsten

Bild stehen die Wannen senkrecht: in jeder ein schwarzgekleideter, anscheinend toter Mensch, die Glieder häßlich verdreht; zwischen ihnen spielen zwei Paare, das rot-schwarze und ein bleiches, Verstecken. Dann marschieren drei uniformierte Frauen mit Koffern zwischen den Toten in den Wannen herum. Schließlich, nach rund einer Viertelstunde, sind die Wannen entfernt. Die drei uniformierten Frauen umsitzen, weit geöffnete Schenkel, ein nacktes, am Boden liegendes Paar in der Bühnenmitte: zwei Männer mit Dolchen, aneinandergeklammert. Dem einen tragen die Frauen die Leichentuchschleppe hinterher und lassen ihn an ihren künstlichen Brüsten nuckeln. Plötzlich ist auch die Frau in Rot wieder da und der Rest des Ensembles in schwarzen Gewändern und mit Koffern. Ein Furientanz: Zucken der Verzweiflung; die schweren Tritte geben, mikrophonverstärkt, eine gewalttätige Lärmkulisse ab. Früher oder später mußte Johann Kresnik bei seinen finsteren Raubzügen durch die Welt echter und literarischer Tode. Morde, Selbstmorde und Terrorakte wohl auf Shakes-

peares „Macbeth“ mit seinen Blutströmen und Leichenbergen stoßen. Natürlich erzählt Kresniks choreographisches Theater die blutgetränkte Geschichte nicht einfach nach. Es hat sich einiger Motive bemächtigt, indem es sie wieder und wieder repetiert, in großaufgerissenen, heftig blutenden Bildern und verstörten, irrsinnigen Aktionen, denen der Kresnik geistesverwandte Wiener Maler Gottfried Fleinwein als Bühnen- und Kostümbildner lediglich drei Farben gegeben hat: das Schwarz des Todes, das Weiß der Schlachthofwände und Leichentücher und das Rot des Blutes. Das Drama von Königsmord und Wahnsinn durch den Fleisch wolf gedreht: ein Hackstück, roh und triefend von Blut. Bis kurz vor Schluß der Aufführung iqi Heidelberger Theater gibt es keinerlei Entwicklung: nur Ansichten und Variationen von Tod, Mord und Wahnsinn, umgesetzt in bohrende Bilder und verstörende Aktionen. Die Welt als Schlachthaus, abendfüllend und ohne Perspektivenwechsel, ohne Hoffnungsschimmer. Die Figuren heißen zwar Banquo, Duncan , Macbeth und Macduff samt zugehö-

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