Bitef

So zielt die Inszenierung von Anfang an aus mythischer Urzeit in eine Gegenwart, in der Wissenschaft und Kirche sich zu Handlangern der Machthaber erniedrigt haben. Die aber-verfolgen ihre Dissidenten, die ihre ganze Habe in einer Reisetasche mit sich schleppen können, bis in den Tod. Wenn wieder ein lebendes oder schon gekilltes Opfer durch die Höllen-Tür ins Dunkel gezerrt wird, beginnt bald die Blutpumpe zu brummen: Durch die Plastischläuche, die über der weißen Lack-Folie der Leichenhalle verlegt sind, plätschert rot nicht zu verwentender Lebenssaft in die Abfall-Wanne. Als ob sie von der mörderischen Wirklichkeit nichts wüßten, schlummern die Freunde Macbeth und Banque (Maverick Quek) in paradiesischer Nacktheit nebeneinander - bis dié drei Hexen sie aufgeilen mit Bildern von Ruhm, Erfolg, Macht. Amy Coleman, Regine Fritschi, Kate Antrobus sind in runen-geschmückten Militär-Jacken und Käppis, mit schwarzen Strapsen und Dessous Verführerinnen - halb Blitzmädel, halb Vamp, mit einem Pesthauch von Walküren. Sie betten Macbeth an riesenhafte Euter von Brüsten, aus

denen der künftige Schlächter auf dem Thron schmatzend Blut saugt. Der sanfmütige Köng Duncan (unter Goldschminke grinsend: Harald Beutelstahl) erzieht sich in homoerotischem pas de deux, in dem scharfe Dolche nackte Haut streicheln, seinen Mörder. Eine verbitterte Lady, die Mutter dieses KindKönigs sein könnte (virtuose Charakter-Tänzerin: Susanna Ibaflez), macht sich das Unschuldslamm Macbeth hörig. Sie läßt sich von dem auf allen Vieren gehenden Jungen tragen oder nimmt ihn unter ihre weiten Röcke zu wild grotesken Balztänzen, bei denen der Mann gar nicht zu sehen ist. Gespenstisch in dieser Mord-Ballade in der Nähe des Grand Guignol: die Ermordung von Frau und Kinderschar des politischen Gegners Macduff. Wie Zwerge toben die Kinder unter einem vier Meter hohen Tisch, spielen Verstecken in der faßgroßen Tasse, in der Zwanzig-Liter-Kaffekanne, klettern, auf den wie ein Sprungturm ragenden Stuhl. Lächelnd schaut nicht nur die blonde Mutter zu, sondern das Pfleger Team von drei Männern in weißen Mänteln, die scharfen Zangen riesi-

ger Steigeisen an den Füßen: freundlich brutale Ärzte. Die fallen, wie spielerisch, über Frau und Kinder her: vergewaltigen, ertränken in der Kaffeetasse, erschlagen mit dem Löffel, zertrampeln mit eisenbewehrten Füssen die Kleinen, die sich in die Tisch-Schublade retten konnten. Birnams Wald senkt sich als riesiger Raketenzaun aus stahlgrauen Pfählen über den einfältig einhermarschierenden Macbeth, den die Hexen in Knobelbecher gesteckt haben, in denen das zum Mörder gewordene Muttersöhnchen fast versinkt. In dem stampfenden Marsch-Rhytmus dieses Toten-Trarapels befreit sich, wie zuvor schon in den taumelnden Walzern der Hexen, Kurt Schwertsiks (bewußt) monoton klingende Schlagwerk-Musik, die Hildegard Kleeb und Adrian Oetiker mit Händen und Stäben an dem Flügel im Orchestergraben neben dem Blutgekröse erzeugen, zu Ansätzen von Melodie, die in der Art von Eric Satie endlos variiert werden. Was hätten wir verstanden, wenn auf dem Programmzettel nicht Macbeth stünde? Viele Verwandlungen Shakespearescher Szenen und Bilder wären noch rätselhafter. Doch ge-

lingt es Kresnik und Helnwein uns mit einer grausigen Mord : Ballade zu fesseln, die mit höhnischem Gelächter vor unseren Augen vorbeirast wobei der schon dem Tod geweihte neue Herrscher statt der Krone ein zwar goldene, aber doch Narren- Kappe wie eine Tiara trägt, Sieger, so die Botschaft, gibt es im tödlicn närrischen Kampf um die Macht nicht. Sieger in Heidelberg sid, in einer glanzvoll wüsten Inszenierung; Gottfried Helnwein, Johann Kresnik und das mitreißend auftrumpfende Ensemble von siebzehn Tänzerinnen und Tänzern. □ Rolf Michaelis, Die Zeit, 19 Feb. 1988.