Bitef

führt. 1960 Umbau von konkret zu einer Zeitschrift für Kultur und Politik. Erscheint monatlich. Auflage: 40000. Autoren u.a. Erich Kuby. Hans Magnus Enzensberger. Arno Schmidt. Robert Jungk. Ulrike Mcinhof kommentiert bis 1969 in ihrer regelmäßigen Kolumne das Zeitgeschehen: Ostermarsch und Abrüstung. SPD und Gewerkschaften. Notstandsgesetze und Innere Sicherheit. Große Koalition und Pressekonzentration. Vietnam und Iran. 1961 Heirat mit Klaus Rainer Röhl. Die Ehe gerät nach kürzester Zeit in die Krise. 1962 Die Zwillinge Bettina und Regine werden geboren. Verdacht auf Hirn-Tumor bei Ulrike Mcinhof. Während der Operation wird jedoch ein (durch die Schwangerschaft) erweitertes Blutgefäß gefunden. 1963 Ulrike Mcinhof hält die Ehe mit Röhl nur aufrecht, damit, wie sic sagt, die Kinder einen Vater haben. Auseinandersetzungen mit der illegalen KPD, die konkret finanziert. Anlaß: Kritische Artikel über den „realen Sozialismus” des Ostblock. 1964 Die KPD stellt die Zahlungen ein. Eine Spendenkampagne rettet das Blatt. Differenzen zwischen Röhl und Ulrike Mcinhof. Röhl baut konkret zu einer linken Illustrierten um. die sich erst tabubrechend, dann zunehmend spekulativ dem Thema Sexualität widmet. 1965-67 Ulrike Mcinhof geht eigene Wege, verfaßt bis 1970 zahlreiche Rundfunkfcaturcs. Es sind in Form und Inhalt bahnbrechende Berichte von ganz unten: aus Fabrikhallcn, Erziehungsheimen und Gefängnissen. sowie zur Situation der Frauen, ln den konkret - Kolumnen scharfe Kritik an der SPD, die mit der CDU/ CSU eine Große Koalition cingcht. Kanzler: Das Ex-NSDAP-Mitglicd Kurt-Georg Kicsingcr. Ulrike Mcinhof wird zu einer von der etablierten Publizistik beachteten und umworbenen linken Journalistin. Gern gesehener Gast in der Hamburger Partywcll des Establishment etwas links vom Establishment. Sylt-Aufenthalte im noblen Kampen. Obwohl nicht ungern dabei, fühlt sich Ulrike Mcinhof dort zunehmend als linkes Feigenblatt. Ende 1967 Trennung von Röhl. Umzug mit den Kindern nach Berlin, wo sic sich der A ußerparlamenlurischen Opposition

(Apo) zuwendet, die gerade aus der Studcntcnbcwcgung entsteht. Ulrike Mcinhof radikalisicrt sich, plädiert im SDS für militante Aktionen gegen die US-Truppen als einzig wirksamen Protest gegen den Krieg in Vietnam. bleibt aber damit isoliert. 1968 Ostcrunruhcn nach dem Attentat auf Rudi Dutschkc. In der Apo wird der Ruf nach Sclbstbcwaffnung laut. Ulrike Mcinhof mahnt in konkret zur Besonnenheit. Gegengewalt läuft Gefahr. zur Gewalt zu werden, wo der paramilitärische Einsatz der Polizei mit paramilitärischen Mitteln beantwortet wird. In diesem Sinne kritisiert sic in konkret auch den a\ssymbolischen Protest gemeinten nächtlichen Brandanschlag auf zwei Frankfurter Kaufhäuser. Erste Begegnung mit den Brandstiftern Gudrun Ensslin und Andreas Baader bei deren Prozeß. 1969 Die Apo zerfällt in rivalisierende Gruppen. Tausende von Strafverfahren gegen Teilnehmer der Apo-Demonstrationen, während ein ehemaliger Nazi wie der Volksgerichtshof - Richter H. J. Rchsc - verantwortlich für zahlreiche Todesurteile - freigesprochcn wird. Ulrike Mcinhofs Prognose ist pessimistisch; Sic befürchtet eine Koalition der CDU/CSU mit der neonazistischen NPD nach dem Ende der Großen Koalition, sicht einen Polizeistaat im Entstehen. Ulrike Mcinhofs Versuch, Röhl durch einen Putsch bei konkret zu verdrängen und die Zeitung der Apo zur Verfügung zu stellen, scheitert, 1970 Andreas Baader und Gudrun Ensslin - nach einer Haftunterbrechung untcrgctaucht - w'ohncn zeitweise bei Ulrike Mcinhof. Sic nimmt an Gesprächen über die Bildung einer Sozialrevolutionären Gruppe zwischen Baader, Ensslin u. a. teil. Ziel: Ergänzung linker Politik in Betrieb und Stadtteil mit militanten Mitteln - (Hausbesetzungen, Brandanschläge etc.). Ulrike Mcinhof plädiert in Vorlesungen an der Freien Universität für den Aufbau einer Gegenöffentlichkeil , da die etablierten Medien keinen Platz für linke Politik bieten würden, macht aber gleichzeitig problemlos weiterhin Rundfunkfcaturcs und schreibt an einem Drehbuch für das Fcrnschspicl „Bambule”, das im Februar gedreht wird. Gerät deshalb zunehmend unter Druck durch Baader und Ensslin. Baader wird verhaftet, Ulrike Mcinhof fühlt sich verpflichtet, die geplante Befreiung Baaders zu unterstützen, sieht dies auch

als Akt persönlicher Emanzipation. Mai 1970 Teilnahme an Befreiung von Baader, als dieser zu Recherchen für ein Buch aus dem Gefängnis ausgeführt wird. Ulrike Mcinhof taucht nach der Befreiung mit Baader ab. obwohl ursprünglich nicht vorgesehen. Sic ist 36 Jahre alt. Die Fahndung der Polizei konzentriert sich sofort auf die bekannte linke Journalistin, damit sind die Weichen endgültig gestellt; Ein Zurück ist für sic nicht mehr möglich. Unter dem Druck der Fahndung gibt die Gruppe ihr ursprüngliches Konzept - legale Existenz und punktuelle illegale Aktionen - auf und ernennt sich selbst zur Guerilla, zur Roten Armee Fraktion (RAF). Sommer 1970 Training bei der PLO in Palästina, Ulrike Mcinhof stimmt Gruppenbeschluß zu, sich von ihren (durch Freunde) versteckt gehaltenen Kindern zu trennen. (Sic sollen in ein palästinensisches Waiscnlagcr kommen, was aber durch Röhl, der die Kinder ausfindig machen läßt, verhindert wird.) Oktober 1970 Die Hälfte der Gruppe wird in Berlin verhaftet. Ulrike Mcinhof, Baader, Ensslin u. a. weichen nach Westdeutschland aus. Dort ist die selbsternannte Guerilla erst recht isoliert: 25 gegen 60 Millionen. Die Gruppe ist bis April 1972 deshalb 2 Jahre lang nur damit beschäftigt. die eigene Existenz zu sichern: Einbrüche und Banküberfälle, um an Dokumente und Geld heranzukommen, Anmietung von Wohnungen etc. Keine politischen Aktionen. Dennoch wird die RAF von den Sichcrhcitsbchördcn und einem Teil der Medien zur Bedrohung Nr. 1 hochslilisicrt. Der Etat des Bundcskriminalamtes wächst um das zehnfache. Durch den Radikalenerlaß von Bundes- und Landesregierungen (politische Überprüfung von Bewerbern für den Öffentlichen Dienst) soll der befürchtete Marsch (der ehemaligen

Apo) durch die Institutionen gestoppt werden. Mai 1972 Bombenanschläge der RAF u. a. auf die beiden Hauptquartiere dr USArmy in Frankfurt und Heidelberg als Protest gegen den Krieg in Vietnam. 3 Tote, zahlreiche Verletzte. Vier Wochen später sind alle RAFGründungsmitglicdcr verhaftet, als letzte am 15. Juni: Ulrike Mcinhof. bis Februar 1974 Befindet sich Ulrike Mcinhof in verschärfter Einzelhaft, davon 9 Monate in Isolalionshaft bei völligem Entzug akkustischcr und optischer Reize, was zu schweren psychischen und physischen Störungen führt. Durch zahlreiche Hungerstreikaktionen versuchen Ulrike Mcinhof und die anderen Gruppcnmitglicdcr eine Änderung der Haftbedingungen zu erreichen. November 1974 Holger Meins stirbt während des Hungerstreiks. Günther von Trenkmann, oberster Westberliner Richter, wird beim Versuch ihn zu entführen, von RAFAnhängern erschossen, die Stammheimer Gefangenen sollten mit Hilfe der Entführung freigepreßt werden, ab Februar 1975 Zusammenlegung der Gruppenmitgleder in den Hochsicherheitstrakt des Gefängnisses April 1975 Der Überfall der RAF auf die Stockholmer Botschaft, um durch Geiselnahme, die in Stammheim Inhaftierten freizupressen, endet in einem Blutbad, nachdem die Botschaftsbcsetzer ihre Sprengsätze gezündet haben. 3 Tote. Mai 1975 Stuttgart-Stammhoim. Dort beginnt das erste Strafverfahren gegen die Gründungsmitglieder der Gruppe. Ein halbes Jahr zuvor wurde Ulrike Mcinhof bereits in Berlin wegen der Baader-Befreiung zu acht Jahren Haft verurteilt. Heftige Auseinandersetzungen zwischen den Angeklagten und dem Gericht bzw. der Bundesanwaltschaft, da diese cs ablchncn, die politischen Ziele der Gruppe und die damit zusammenhängende Begründung für die Anschläge in Frankfurt und Heidelberg bei der Beurteilung hinzuzuzichcn. 9. Mai 1976 Ulrike Mcinhof wird in ihrer Zelle tot aufgefunden. Die Sicherheitsbehörden sprechen von Selbstmord. Eine zweite, von Angehörigen in Auftrag gegebene Autopsie und die Untersuchungsergebnissc einer später tätigen Internationalen Gutachterkommission geben zu Zweifeln an der SelbstmordThese Anlaß. □ Mario Krebs