Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 1/1, S. 157
Orang-Utan: Betragen eines gefangenen Weibchens. 99
eine geringe Gabe Nizinusöl wiederherzuſtellen. Eine oder zwei Wochen ſpäter wurde er wieder krank und diesmal ernſtliher. Die Erſcheinungen waren genau die des Wechſelfiebers, au< von Anſchwellungen der Füße und des Kopfes begleitet. Er verlor alle Eßluſt und ſtarb, nachdem er in einer Woche bis zu einem Fammerbilde abgezehrt war. Der Verluſt meines kleinen Lieblings, den ich faſt 3 Monate beſeſſen und groß zu ziehen gehofft hatte, that mir außerordentlich leid. Monatelang hatte er mir durch ſein drolliges Gebaren und ſeine unnahahmlihen Grimaſſen das größte Vergnügen bereitet.“
Zur Vervollſtändigung des von Wallace ſo trefflih gezeihneten Lebensbildes eines jungen Orang-Utan will i< noh einige ältere Berichte folgen laſſen. Die erſten genauen Beobachtungen verdanken wir dem Holländer Vosmaern, welcher ein Weibchen längere Zeit zahm hielt. Das Tier war gutmütig und bewies ſi< niemals boshaft oder falſch. Man konnte ihm ohne Bedenken die Hand in das Maul ſte>en. Sein äußeres Anſehen hatte etwas Trauriges, Shwermütiges. Es liebte die menſchliche Geſellſchaft ohne Unterſchied des Geſchlechtes, zog aber diejenigen Leute vor, welche ſi<h am meiſten mit ihm beſchäftigten. Man hatte es an eine Kette gelegt, worüber es zuweilen in Verzweiflung geriet; es warf ſih dann auf den Boden, ſchrie erbärmlih und zerriß alle Deken, welche man ihm gegeben hatte. Als es einmal freigelaſſen wurde, kletterte es behend in dem Sparrwerke des Daches umher und zeigte ſih hier ſo hurtig, daß vier Perſonen 1 Stunde lang zu thun hatten, um es wieder einzufangen. Bei dieſem Ausfluge erwiſchte es eine Flaſche mit Malagawein, entkorkte ſie und brachte den Wein ſ{<leunigſt in Sicherheit, ſtellte dann aber die Flaſche wieder an ihren Ort. Es fraß alles, was man ihm gab, zog aber Obſt und gewürzhafte Pflanzen anderen Speiſen vor. Geſottenes und gebratenes Fleiſh oder Fiſche genoß es ebenfalls ſehr gern. Nach Kerbtieren jagte es niht, und ein ihm dargebotener Sperling verurſachte ihm viel Furcht; doch biß es ihn endlich tot, zog ihm einige Federn aus, koſtete das Fleiſh und warf den Vogel wieder weg. Rohe Eier ſoff es mit Wohlbehagen aus. Der größte Le>erbiſſen ſchienen ihm Erdbeeren zu ſein. Sein gewöhnlihes Getränk beſtand in Waſſer; es trank aber auch ſehr gern alle Arten von Wein und beſonders Malaga. Nach dem Trinken wiſchte es die Lippen mit der Hand ab, bediente ſi ſogar eines Zahnſtochers in derſelben Weiſe wie ein Menſch. Diebſtahl übte es meiſterhaft; es zog den Leuten, ohne daß ſie es merkten, Le>ereien aus den Taſchen heraus. Vor dem Schlafengehen machte es ſtets große Anſtalten. Es legte ſi<h das Heu zum Lager zureht, ſchüttelte es gut auf, legte ſi<h no< ein beſonderes Bündel unter den Kopf und dete ſih dann zu. Allein ſ<hlief es niht gern, weil es die Einſamkeit überhaupt nichl liebte. Bei Tage ſ{<lummerte es zuweilen, aber niemals lange. Man hatte ihm eine Kleidung gegeben, welche es ſi<h bald um den Leib und bald um*den Kopf legte und zwar ebenſowohl, wenn es Éühl war, als während der größten Hite. Als man ihm einmal das Schloß ſeiner Kette mit dem Schlüſſel öffnete, ſah es mit großer Aufmerkſamkeit zu und nahm ſodann ein Stückchen Holz, ſte>te es ins Schlüſſello<h und drehte es nach allen Seiten um. Einſt gab man ihm eine junge Kaße. Es hielt dieſelbe feſt und beroch ſie ſorgfältig. Die Kaze kraßte es in den Arm, da warf es dieſelbe weg, beſah ſih die Wunde und wollte fortan nichts wieder mit Miez zu thun haben. Es konnte die verwi>eltſten Knoten an einem Stri>e ſehr geſhi>t mit den Fingern oder, wenn ſie zu feſt waren, mit den Zähnen auflöſen und ſchien daran eine ſolche Freude zu haben, daß es auch den Leuten, welche nahe zu ihm hintraten, regelmäßig die Schuhe aufband. Fn ſeinen Händen beſaß es eine außerordentlihe Stärke und konnte damit die größten Laſten aufheben. Die Hincerhände benugßte es ebenſo geſhi>t wie die vorderen. So legte es ſi< z. B., wenn es etwas mit den Vorderhänden niht erreichen konnte, auf den Rücken und zog den Gegenſtand mit den Hinterfüßen heran. Es ſchrie nie, außer wenn es allein war. Anfangs glich
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