Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 1/1, S. 165
Gibbons: Gehen. Klettern. Schwingen. 107
nur 6 m — wenig für einen Affen, welcher in der Freiheit das Doppelte überfliegen kann, viel, ſehr viel für ein Tier, welches, ſeiner Freiheit beraubt, in ein ihm fremdes und feind: ſeliges Klima gebracht und ſeiner urſprünglihen Nahrung entwöhnt worden war, welches eben eïſt cine ſo lange, entkräftende Seereiſe überſtanden hatte. Doch troß all dieſer mißlichen Umſtände gab der Gibbon derartige Beweiſe ſeiner Bewegungsfähigkeit zum beſten, daß, wie mein Gewährsmann ſagt, „alle Zuſchauer vor Erſtaunen und Bewunderung geradezu außer ſi<h waren“.
Es war ihm eine Kleinigkeit, ſi< von einem Aſte auf den andern zu ſ{hwingen, ohne die geringſte Vorbereitung dazu bemerkli< werden zu laſſen, und er erreichte das erſtrebte Ziel mit unwandelbarer Sicherheit. Er konnte ſeine Luftſprünge lange Zeit ununterbrochen fortſeßen, ohne dazu einen neuen erſihtlihen Anſaß zu nehmen; den zum Sprunge nötigen Abſtoß gab er ſi< während der augenbli>lichen Berührung der Äſte, welche er ſich zum Auffußen erwählt hatte. Ebenſo ſicher wie ſeine Bewegungen waren bei ihm Auge und Hand. Die Zuſchauer beluſtigten ſich, ihm während ſeiner Sprünge Früchte zuzuwerfen: er fing ſie auf, während er die Luft durchſchnitt, ohne es der Mühe wert zu achien, deshalb ſeinen Flug zu unterbrechen. Er hatte ſich ſtets und vollkommen in ſeiner Gewalt. Mitten im ſchnellſten Sprunge konnte er die begonnene Nichhtung ändern; während des kräftigſten Dahinſchießens erfaßte er einen Zweig mit einer ſeiner Vorderhände, zog mit einem Nuke die Hinterfüße zu gleiher Höhe empor, pa>te mit ihnen den Aſt und ſaß im Augenbli>e ſo ruhig da, als wäre er nie in Bewegung geweſen.
Es läßt ſich denken, daß der Gibbon in der Freiheit no< ganz andere Proben ſeiner Beweglichkeit bieten kann, und die Erzählungen der Beobachter dürfen deshalb wohl auch allen Glauben verdienen, obgleih ſie uns übertrieben zu ſein ſcheinen. Manche Berichterſtatter vergleichen die Bewegungen der freilebenden Langarmaffen mit dem Fluge der Shwalben! Um ſo bemerkens3werter iſt eine Beobachtung von H. O. Forbes über den Siamang. Er ſagt: „Daß dieſe Affen in ſo weiten Entfernungen von Baum zu Baum ſpringen, wie man ſagt, halte ih für unrihtig; denn wenn beim Fällen des Waldes nahe beim Dorfe eine Geſellſhaft von Siamangs von den nähſten Bäumen nur 30 Fuß weit abgeſchnitten wurde, Életterten ſie bei jedem Axtſtreih in höchſter Angſt am Baume auf und nieder und wagten niht, den Zwiſchenraum zu überſpringen; ſelbſt wenn der Baum fiel, wagten ſie niht, ſi dur Herabſpringen zu retten, ſondern ließen ſih dur< den Sturz desſelben zerſhmettern.“ Daraus dürfte indeſſen no< niht zu ſ<hließen ſein, daß ſie einen Raum von 10 m, zumal ſchräg abwärts, niht durhmeſſen können; es wäre doh möglich, daß ſie, durch ihre ungewöhnliche und bedrohte Lage geängſtigt und verwirrt, niht daran denken, ſich in der geläufigen Weiſe zu retten. Wallace ſagt zwar ebenfalls, daß der Siamang ſich viel langſamer als andere Gibbons bewege und nicht die „ungeheuren Sprünge“ liebe, gibt aber doh an, daß er ſih auh „zwiſchen weit auseinander ſtehenden Bäumen hin- und herſ<hwinge.““
Die Beobachtung der Tiere im Freileben hat übrigens ihre Schwierigkeiten, weil faſt alle Arten den Menſchen meiden und nur ſelten an die Blößen in den Waldungen herankommen. „Meiſt leben ſie“, ſagt Duvaucel von den Siamangs, „in zahlreichen Herden, welche von einem Anführer geleitet werden, na< Verſicherung der Malayen von einem Unverwundbaren ihres Geſhlehtes. Überraſcht man ſie auf dem Boden, ſo kann man ſie auh gefangen nehmen; denn entweder hat der Schre> ſie ſtußig gemacht, oder ſie fühlen ſelbſt ihre Shwäche und exktennen die Unmöglichkeit zu entfliehen. Die Herde mag ſo zahlrei ſein, als ſie will, ſtets verläßt ſie den verwundeten Gefährten, es ſei denn, daß es ſih um einen ganz jungen handelt. Fn ſolchem Falle ergreift die Mutter ihr Kind, verſucht zu fliehen, fällt vielleicht mit ihm nieder, ſtößt dann ein heftiges Schmerzensgeſchrei aus und ſtellt ſi<h dem