Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 1/2

MWald- und Brandmaus. Zwergmaus. 515

fand eine Waldmaus, welche neben einer Flaſche Malaga ſaß, der herankommenden Dame freundli< und ohne Scheu ins Geſicht ſah und ſih in ihrem Geſange dabei gar nicht ſtören ließ. Die junge Dame ging fort, holte Hilfe, und es wurde mit Heeresmacht in den Keller gezogen; die Maus war mit ihrem Liedchen noh niht fertig, blieb ruhig ſißen und war ſehr verwundert, als ſie mit einer eiſernen Zange beim Schopfe gefaßt wurde. Bei weiterer Unterſuchung fand ſi< nun, daß die Flaſche etwas auslief, und daß ringsum ein ganzer Kranz von Mäuſemiſt lag, woraus der Shluß gezogen wurde, daß die hier als Trunkenbold verhaftete Maus ſchon länger ihre Gelage gefeiert haben mochte.

Die Waldmaus wirft jährlich zwei- oder dreimal 4—6, ſeltener auh 8 na>te Junge, welche ziemli< langſam wachſen und den ſchönen, rein rotgelben Anflug des Pelzes erſt im zweiten Jahre erhalten.

Die Brandmaus iſt auf einen geringeren Verbreitungskreis beſhränkt als die verwandten Arten: ſie lebt zwiſchen dem Rheine und Weſtſibirien, Nordholſtein und der Lombardei. Jn Mitteldeutſhland iſt ſie faſt überall gemein, im Hochgebirge fehlt ſie. JFhre Aufenthaltsorte ſind A>erfelder, Waldränder, lichte Gebüſche und im Winter die Getreidefeimen oder die Scheuern und Ställe. Beim Mähen des Getreides ſieht man ſie | <harenmweiſe über die Stoppeln flüchten. Pallas erzählt, daß ſie in Sibirien zuweilen regelloſe Wanderungen anſtellt. Jn ihren Bewegungen iſt ſie ungeſchi>ter, in ihrem Weſen weit gutmütiger oder dümmer als ihre Verwandten. Jhre Nahrung beſteht hauptſächlih aus Getreide, Sämereien, Pflanzen, Knollen, Kerbtieren und Würmern. Sie trägt ebenfalls Vorräte ein. Fm Sommer wirft ſie drei- bis viermal zwiſchen 4 und 8 Funge, welche, wie die der Waldmaus, erſt im folgenden Jahre vollſtändig ausgefärbt ſind. Über ihre Fortpflanzung erzählt Lenz folgendes: „Vor nicht langer Zeit nahm ih ein Brandmausweibchen nebſt ſeinen Fungen, welche eben zu ſehen begannen, in die Stube, that die Familie ganz allein in ein wohlverwahrtes Behältnis und fütterte ſie gut. Die Alte machte ſi ein Neſtchen und ſäugte darin ihre Jungen ſehr eifrig; 15 Tage nah dem, an welchem die Familie eingefangen und eingeſperrt worden war, als eben die Jungen ſelbſtändig zu werden begannen, warf die Alte unvermutet wieder 7 Junge, mußte ſi< alſo ſhon im Freien, nachdem ſie die vorigen gehe>t, wieder gepaart haben. Luſtig war es mit anzuſehen, wenn ich die alte Brandmaus, während ſie die Jungen ſäugte, ſo ſtörte, daß ſie weglief. Die Jungen, welche gerade an ihren Zigen hingen, blieben dann daran, ſie mochte ſo ſchnell laufen, wie ſie wollte, und fie kam mit der bedeutenden Laſt doh immer ſchnell vom Fle>e. Jh habe au< im Freien Mäuſe geſehen, welche ihre Jungen, wenn ich ſie ſtörte, ſo wegſchafften.“

So ſ{mu> und nett alle kleinen Mäuſe ſind, ſo allexliebſt ſie ſih in der Gefangenſchaft betragen: das kleinſte Mitglied der Familie, die Zwergmaus (Mus minutus, Mus pendulinus, soricinus, parvulus, campestris, pratensis und messorius, Micromys agilis), übertrifft die anderen doch in jeder Hinſicht. Sie iſt beweglicher, geſchi>ter, munterer, kurz ein viel anmutigeres Tierchen als die übrigen. Fhre Länge beträgt 13 em, wovon faſt die Hälfte auf den Shwanz kommt. Die Pelzfärbung wechſelt. Gewöhnlich iſt ſie zweifarbig, die Oberſeite des Körpers und der Schwanz gelblih braunrot, die Unterſeite und die Füße ſcharf abgeſeßt weiß; es kommen jedo<h dunklere und hellere, rötlichere und bräunlichere, grauere und gelbere vor; die Unterſeite ſteht niht ſo ſharf im Gegenſaße mit der oberen; junge Tiere haben andere Körperverhältniſſe als die alten und noh eine ganz andere Leibesfärbung, nämlih viel mehr Grau auf der Oberſeite.

Von jeher hat die Zwergmaus den Tierkundigen Kopfzerbrechen gemacht. Pallas entdete ſie in Sibirien, beſchrieb ſie genau und bildete ſie auh ganz gut ab; aber faſt jeder

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