Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 1/2

Stachelſ<hwein: Vorkommen. Fabeleien. Verteidigung. 561

der Campagna von Rom, in Sizilien, Kalabrien und in Griechenland. Jn Unterägypten, wo es vorkommen ſoll, habe ih ſeine Spuren nie geſehen.

Die Alten kannten das Stachelſchwein ret gut, verdunkeln aber ſeine Naturgeſchichte dur Fabeln. Ariſtoteles gibt an, daß es Winterſchlaf halte, Plinius, daß es ſeine Stacheln durc eine Spannung der Haut fortſ<leudern könne, und Oppian führt dieſe BE hauptung aus, wie folgt: „Die Stachelſchweine ſehen erſchre>li<h aus und ſind die allergefährlichſten Tiere. Werden ſie verfolgt, ſo fliehen ſie mit Windes] nelle, niht aber, ohne zu kämpfen; denn ſie ſchießen ihre todbringenden Stacheln gerade hinter ſih gegen den Feind. Der Jäger darf daher keinen Hund gegen ſie loslaſſen, ſondern muß ſie mit Liſt fangen.“ Claudian endlih widmet dem Tiere ein Gedicht, in welchem er alles ihm Bekannte zuſammenſtellt. Das Stachelſhwein lebt einſam. Bei Tage ruht es in langen, niedrigen Gängen, welche es ſi< ſelbſt in den Boden wühlt; nachts kommt es heraus und ſtreift nach ſeiner Nahrung umher. Dieſe beſteht in Pflanzenſtoffen aller Art, Diſteln und anderen Kräutern, Wurzeln und Früchten, der Rinde verſchiedener Bäume und mancherlei Blättern. Es beißt die Nahrung ab, faßt ſie mit den Vorderzähnen und hält ſie mit den Vorderpfoten feſt, ſolange es frißt. Alle Bewegungen ſind langſam und unbeholfen; der Gang iſt träge, bedächtig, der Lauf nur wenig raſh. Bloß im Graben beſißt das plumpe Tier einige Fertigkeit, aber feineswegs genug, um einem gewandten und behenden Feinde zu entfliehen. Im Winter ſoll es mehr als gewöhnlih im Baue verweilen und man<mal tagelang dort ſ<lafend zubringen. Einen wirklichen Winterſchlaf hält es nicht. |

Überraſcht man ein Stachelſhwein außerhalb ſeines Baues, ſo rihtet es Kopf und Nacen drohend auf, ſträubt alle Stacheln ſeines Körpers und klappert in eigentümlicher Weiſe mit ihnen, zumal mit den hohlen Shwanzſtacheln, welche es dur<h Schütteln des Schwanzes ſo aneinander ſ<hlägt, daß ein abſonderliches Geraſſel entſteht, durhaus geeignet, einen unkundigen oder etwas fur<htſamen Menſchen in Angſt zu jagen. Bei hoher Erregung ſtampft es mit den Hinterfüßen auf den Boden, und wenn man es erfaßt, läßt es ein dumpfes, dem des Schweines ähnliches Grunzen vernehmen. Bei dieſen Bewegungen fallen oft einzelne Stacheln aus, und daher rührt die Fabel. Troß des furchtbaren Klapperns und Naſſelns iſt das Tier ein vollkommen ungefährliches, harmloſes Geſchöpf, welches leicht erſhrid>t, jedem aus dem Wege geht und kaum daran denkt, von ſeinen ſharfen Zähnen Gebrau< zu machen. Auch die Stacheln ſind mehr Verteidigungsmittel als Angriſſswaſfen. Wer ihm unvorſichtig naht, kann durch ſie verwundet werden; der gewandte Jäger ergreift das Tier an der Na>enmähne und trägt es mit Leichtigkeit fort. Freilich biegt es ſih, wenn man herankommt, mit dem Kopfe zurü>, hebt die Stacheln des Rückens vorwärts und läuft einige Schritte auf den Gegner los; allein ein vorgehaltener Sto> wehrt die Lanzen ab, und ein großes Tuch genügt, um das Tier zu entwaffnen. Jn der äußerſten Not rollt ſih der arme Geſell wie ein Jgel zuſammen und iſ dann allerdings ſ{hwierig genug aufzuheben. Jm allgemeinen aber kann man ſagen, daß ex, ſo furchtbar bewehrt er auh ſcheint, jedem geſchi>ten Feinde erliegt, wenn auh niht immer, ohne ſi<h na< Kräften zu verteidigen und manhmal auch ſeine Gegner {<merzhaft zu verwunden. Sterndale wenigſtens hat ein dem hier behandelten ſehr ähnliches indiſches Stachelſhwein (Hystrix leucura) fich gegen Hunde erfolgrei wehren ſehen. Er ſtieß auf mehrere Eingeborene, welche eifrig von obenher den Bau eines Stachelſhweines aufgruben, während zwei Hunde am Nöhrenausgange Wache hielten. Als fie den Keſſel trafen, fuhr das Siachelſhwein jählings heraus und raſſelte aufs höchſte erzürnt zwiſchen die Hunde. Dabei rutſchte es mit geſpreizten Stacheln ſehr hurtig und geſchi>t rücwärts wie ſeitwärts hin und wieder und hatte im Nu beide

Gegner derartig getroffen daß ſie heulend zurücwichen und einer der Leute mit einem Brehm, Tierleben. 3. Auflage. I]. 36