Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 1/2

562 Siebente Ordnung: Nager; neunte Familie: Stachelſchweine.

Axtſchlag auf den Kopf des erboſten Stachelhelden die zwar ſehr drollige, aber für die Hunde feine8wegs ungefährliche Rauferei beenden mußte. Dem einen war ein Stachel tief in den oberen Hals gefahren, dem anderen je einer in den Unterkiefer und in das Geſicht hart am Auge; dieſer {aß ſo tief und feſt in der Wunde, daß es große Anſtrengung erforderte, den heulenden Hund davon zu befreien.

Die geiſtigen Eigenſchaften unſeres Stachelſchweines ſind ebenſo gering wie die ſeiner Verwandten; man kann kaum von Verſtand reden, obgleich eine gewiſſe Begabung ſi< niht verkennen läßt. Unter den Sinnen dürfte der Geruch der entwi>eltſte ſein; Geſicht und Gehör ſind ſtumpf.

Nach dem verſchiedenen Klima der Heimatsorte ändert ſih auch die Zeit der Paarung. Man kann annehmen, daß ſie überall in den Anfang des Frühlings fällt, in Nordafrika in den Januar, in Südeuropa in den April. Um dieſe Zeit ſuchen die Männchen ihre Weib<en auf, und beide leben mehrere Tage zuſammen. Das Weibchen wirſt 60—70 Tage nah der Begattung in ſeiner Höhle auf ein ziemlih weihes und mit Blättern, Wurzeln und Kräutern ausgepolſtertes Neſt 2—4 Junge. Die Tierchen kommen mit offenen Augen und kurzen, weichen, eng an dem Körper anliegenden Stacheln zur Welt, diefe aber erhärten ſehr bald und walhſen außerordentlih raſh, obſchon ſie ihre volle Länge erſt mit dem höheren Alter erreichen. Sobald die Fungen fähig ſind, ſi< ihre Nahrung zu erwerben, verlaſſen ſie die Mutter.

Auch gefangene Stachelſchweine pflanzen ſih nicht ſelten fort; ih ſelbſt habe jedo<h eigene Beobachtungen hierüber nicht angeſtellt und gebe deshalb die Berichte anderer wieder. „Der immer mehr zunehmende Umfang des Weibchens unſeres Paares“, ſchreibt mir Bodinus, „erwed>te bei mir die Hoffnung auf Vermehrung, und eines Tages ward zu meiner Freude ein junges, joeben geborenes Tierchen im Käfig gefunden. Dasſelbe hatte etwa die Größe eines ſtarken Maulwurfes, war mit ſparſamen, ſehr kurzen Stacheln bede>t und kroch mit einiger Mühe, obwohl no< naß und an der Nabelſchnur hängend, im Käfige umher. Meine Sorge, daß der Vater ſi< unnatürlich beweiſen möchte, war unnötig; er betrachtete den jungen Sprößling zwar neugierig, bekümmerte ſich dann aber nicht beſonders um ihn, während die Mutter unverdroſſen zunächſt den Mutterkuchen und die Nabelſchnur zu verzehren begann. Jc ſtörte ſie niht im Genuſſe dieſer widrigen Nahrung und dachte, daß ſie wohl ihrem Naturtriebe folgen würde, und ſo verzehrte ſie denn die ganze Nachgeburt und die Nabelſhnur bis auf die Länge von 1,5 cm. Damit hatte der Shmaus ein Ende, und nunmehr le>te ſie ihr Junges, welches ſogleih die Bruſtwarzen ſuchte. Bekanntlich liegen dieſe vorn an der Seite des Shulterblattes; die ſie umgebenden Stacheln ſind aber durhaus kein Hindernis für das Säuggeſchäft. Das Junge ſaugte noh, als es über die Hälfte der Größe ſeiner Eltern erreicht hatte, während ſich die Eltern bereits wieder begattet hatten. Auch dafür ſind die Stacheln kein Hindernis, wie man wohl vermuten ſollte: das Weibchen ſchlägt den Schweif mit den Geſhlechtsteilen aufwärts, ſo daß die Schweifſtacheln faſt auf dem Rücken liegen, und nunmehr vollzieht das Männchen die Paarung.“

„Die Alte“ berichtete mir Mütßel, welcher die von ihm bildlich dargeſtellte Stachelſhweinfamilie eingehend beobachtete, „iſt eine ausgezeihnete Mutter; denn ſie nährt niht allein, ſondern ſ{hüßt auh ihre Kinder nah Kräften. Sobald man ſich ihr naht, jagt ſie die Kleinen in den Hintergrund des Käfigs, ſtellt ſih quer vor ſie hin und geht, nahdem ſie den Beſchauer einige Zeitlang angegloßt, nah Art der Strandkrabben ſeitlih vorſchreitend, Kamm und Stacheln ſträubend, fauchend, mit dem Schwanze raſſelnd, ab und zu au< wohl mit einem Hinterbeine aufſtampfend, herausfordernd auf den Störenfried los. Verhält man ſih ruhig, ſo läßt die Erregung nah; Kamm und Stacheln legen ſih zurü>, Fauchen, Raſſeln und Stampfen enden, und alle Furcht oder Beſorgnis ſcheint vergeſſen zu