Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 1/2

Viscacha. Haſen. 619

ſi wie Verzweifelte; doh eine nach der anderen mußte erliegen, und reihe Beute belohnte die Jäger. Unſer Gewährsmann beobachtete ſelbſt, daß getötete Viscachas von ihren Genoſſen nah dem Fnneren der Baue geſchleppt wurden. Er \{<hoß Viscachas aus geringer Entfernung; doch ehe er not zur Stelle kam, waren die durch den Schuß augenbli@lih getöteten bereits im Jnnexen ihrer Höhlen verſchwunden. Außer dem Menſchen hat das Tier noch eine Unzahl von Feinden. Der Kondor ſoll den Viscachas ebenſo häufig nahgehen wie ihren Verwandten oben auf der Höhe des Gebirges; die wilden Hunde und Füchſe auf der Steppe verfolgen ſie leidenſchaftlich, wenn ſie ſi<h vor ihrer Höhle zeigen, und die Beutelratte dringt ſogar in das Heiligtum dieſer Baue ein, um ſie dort zu bekämpfen. Zwar verteidigt ſich die Viscacha nach Kräften gegen ihre ſtarken Feinde, balgt ſih mit den Hunden erſt lange herum, ſtreitet tapfer mit der Beutelratte, beißt ſelbſt den Menſchen in die Füße: aber was kann der arme Nager thun gegen die ſtarken Räuber! Doch würde troßg aller dieſer Verfolgungen die Zahl der Viscachas ſi< kaum vermindern, thäte die mehr und mehr ſich verbreitende Anbauung des Bodens ihnen nicht gar ſo großen Abbruch. Der Menſch iſt es auch hier, welcher durch die Beſiznahme des Bodens zum furchtbarſten Feinde unſeres Tieres wird.

Die Fndianer der Steppe glauben, daß eine in ihre Höhle eingeſchloſſene Viscacha niht fähig iſt, ſich ſelbſt wieder zu befreien, und zu Grunde gehen muß, wenn nicht ihre Gefährten fie ausgraben. Sie verſtopfen deshalb die Hauptausgänge der Viscacheras und binden einen ihrer Hunde dort als Wächter an, damit er die hilfefertigen anderen Viscacha3 abhält, bis ſie ſelbſt mit Schlingen, Neßen 2c. wieder zur Stelle ſind. Die Erklärung dieſer ſonderbaren Meinung iſt leicht zu geben. Die eingeſchloſſenen Viscachas hüten ſih natürlich, ſobald ſie den Hund vor ihren Bauen gewahren, herauszukommen, und der Fndianer erreicht ſomit ſeinen Zwe>. Die übrigen Viscachas thun gar nichts bei der Sache.

Die Indianer eſſen das Fleiſh und benugen au< wohl das Fell, obgleich dieſes einen weit geringeren Wert hat als das der früher genannten Arten.

An das Ende der Ordnung ſtellen wix die Haſen (Leporidae), eine ſo ausgezeihnete Familie, daß man ihr den Wert einer Unterordnung zuſprechen könnte. Sie ſind die einzigen Nager, welche mehr als 2 Vorderzähne haben; denn hinter den ſcharfen und breiten Nagezähnen ſtehen 2 wirklihe Schneidezähne, kleine, ſtumpfe, faſt vierſeitige Stifte. Hierdurch erhält das Gebiß ein ſo eigentümliches Gepräge, daß die Haſen geradezu einzig daſtehen. 5—6 aus je 2 Platten zuſammengeſeßte Backenzähne finden ſih außerdem in jedem Kiefer. Die Wirbelſäule beſteht außer den Halswirbeln aus 12 rippentragenden, 9 Lenden-, 2—4 Kreuz- und 12—20 Schwanzwirbeln. Die allgemeinen Kennzeichen der Haſen ſind: geſtre>ter Körper mit hohen Hinterbeinen, langer, geſtre>ter Schädel mit großen Ohren und Augen, fünfzehige Vorder- und vierzehige Hinterfüße, die, höchſt bewegliche, tief ge: ſpaltene Lippen mit ſtarken Schnurren zu beiden Seiten und eine dichte, faſt wollige Behaarung. So wenig Arten die Familie auch enthält, über einen um ſo größeren Raum der Erde iſt ſie verbreitet. Nur im Auſtraliſchen Reiche würden ohne Zuthun des Menſchen Haſen fehlen; gegenwärtig aber ſind au< in Auſtralien und Neuſeeland zwei Arten weit verbreitet. Die Haſen finden ſi< in allen Klimaten, in Ebenen und Gebirgen, in offenen Feldern und Felſenriben, auf und unter der Erde, kurz überall, und wo die eine Art aufhört, beginnt eine andere, die Gegend, welche von dieſer niht ausgebeutet wird, beſit in einer anderen einen zufriedenen Bewohner. Alle nähren ſih von weichen, ſaftigen Pflanzenteilen; doh fann man ſagen, daß ſie eigentli nihts verſchonen, was ſie erlangen können.