Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 1/3

58 Zehnte Drdnung: Unpaarzeher; erſte Familie: Pferde.

„Wer einem Pferde etwas Menſchliches lehren will, muß es, anfangs wenigſtens, rein menſ<hli<, d. h. niht dur< Prügel, no< Drohungen, no< Hunger lehren wollen, ſondern nur das gute Wort brauchen und es geradeſo behandeln, wie ein guter, verſtändiger Menſch einen guten, verſtändigen Menſchen behandelt. Was auf den Menſchen wirkt, wirkt au auf das Pferd .…. Der Regel nach ſind die Pferde völlig Kinder im guten und böſen. Das Pferd hat neben ſeinem Ortsgedächtnis auch Zeitſinn. Es lernt im Takte gehen, trotten, galoppen und tanzen. Es kennt auch Zeitunterſchiede im großen, es weiß, ob es Morgen, Mittag oder Abendzeit iſt. Es ermangelt ſelbſt des Tonſinnes niht. Wie der Krieger, liebt es den Trompetenton. Es ſcharrt freudig mit dem Vorderfuße, wenn dieſer Ton zum Laufen im Wettrennen und zur Schlacht ertönt; es kennt und verſteht auh die Trommel und alle Töne, welche mit ſeinem Mute und mit ſeiner Furcht in Verbindung ſtehen. Es kennt den Kanonendonner, hört ihn aber, wenn es in Schlachten zerſchoſſene Gefährten geſehen, nict gerne. Der Wolkendonner iſt ihm ebenfalls niht angenehm. Vielleicht wirft das Gewitter nachteilig ein.

„Das Pferd iſt der Furcht ſehr zugänglih und nähert ſi<h au< darin dem Menſchen. Es erſhri>t über einen ungewohnten Ton, ein ungewohntes Ding, eine flatternde Fahne, ein Hemd, welches zum Fenſter herausweht. Sorgſam beſchaut es den Boden, welcher Steine hat, ſorglich tritt es in den Bach, den Fluß. Ein Pferd, welches in eine Hausgrube gefallen und wieder hevraufgezogen worden wax, war ſehr erſhro>en; ein anderes, welches in eine Kalkgrube geſprungen war, ließ ſi< willig binden und herausziehen: es wollte den Rettenden helfen. Auf ſ{<hmalen Gebirgspfaden zittert es. Es weiß, daß es nur Fuß iſt und ſi< an gar ni<ts anhalten kann. Den Bliß fürchtet es heftig. Jm Gewitter ſ{hwißt es vor Angſt, erſhlagen zu werden. Reißt eins aus, ſo kann das andere, unerſhro>ene es zurühalten; gewöhnlih aber ergreift es der Schre>en ebenfalls, und beide rennen in immer ſih ſteigernder Furht und Angſt, raſen über und durch alles mögliche heim, in die Tenne, an eine Wand, wie toll. Wieviel Unglü> veranlaßt und verurſacht das ſonſt ſo verſtändige, gehorſame und gutwillige Tier, welches dem Herrn, dem Knechte, der Frau, dem Mädchen, jedem, der es gut behandelt, gehort!

„Das Pferd kann ſih verwundern, es kann ſiußen, kann über unbedeutende Dinge wie ein Kind erſchre>en, es kann ſih enttäuſchen laſſen, und ſein Kennen kann durch ſeinen Verſtand zum Erkennen werden. Daraus erhellt, daß ſein Verſtand zerrüttet, daß es verrüdt werden kann. Durch rohe Behandlung, dur<h Fluchen und Prügeln der Roßknechte iſt ſhon manches Pferd ſhändli< verdorben, um allen ſeinen geiſtigen und gemütlihen Wert gebracht und völlig dumm und toll gemacht worden. Dagegen wird das Pferd durc edle Behandlung veredelt, hoh gehoben, durch ſie zum halben Menſchen gemacht.

„Die einzige wahre Luſt des Pferdes iſt zu rennen. Es iſt von Natur ein Reiſender; bar zur Luſt rennen weidende Pferde in deu ruſſiſhen Steppen, reiſen mit den Kutſchen im Galopp viele Stunden, eine Tagereiſe weit, ſicher, daß ſie ihren langen Pfad wieder zurüfinden. Auf den Weiden tummeln ſie ſi<h munter, werfen vorn und hinten auf und treiben allerlei Mutwillen, rennen miteinander, beißen einander. Es gibt ſolche, wel<he immer andere ne>en. Junge ne>en ſogar Menſchen. Eine beahtenswerte Erfahrung! Das Tier, welches ſi< am Menſchen verſucht, muß ſi< dem Menſchen nahe fühlen, muß in ihm beinahe ſeinesgleihen ſehen.

„Der ganze Hengſt iſt ein furhtbares Tier. Seine Stärke iſt ungeheuer, ſein Mut über alle Begriffe, ſein Auge ſprüht Feuer. Die Stute iſt viel ſanfter, gutmütiger, willfähriger, gehorſamer, lenkſamer; darum wird ſie auh dem Hengſte oft vorgezogen. Das Pferd iſt aller Erregung fähig. Es liebt und haßt, iſt neidiſ<h und ra<hſüchtig, launiſch 2e. Kein Pferd iſt dem anderen gleich. Biſſig und böſe, falſ<h und tüiſh iſt das eine, zutraulih