Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 1/3

64 Zehnte Drdnung: Unpaarzeher; erſte Familie: Pferde.

Kiang, „iſt es, zu ſehen, mit welcher Schnelligkeit ſie an den Bergen emporklimmen, und wie gewandt ſie abwärts ſteigen, ohne jemals zu ſtraucheln.“ Als ob ſie mit ihren unverſieglichen Kräften ſpielen wollten, ſo jagten die von uns verfolgten Kulane über die Hügel und durch die Thäler der Steppe dahin. Kein Reiter holt ſie ein; ſie wetteifern an Flüchtigkeit mit jeder Antilope, wie ſie an Kletterfertigkeit kaum hinter der Gemſe, dem Steinbo>e zurü>ſtehen. Jhre Sinnesfähigkeiten ſind niht geringer als die Kräfte ihrer Glieder; ihre geiſtigen Begabungen entſprechen den übrigen. Die Kirgiſen bezeichnen ſie als Trobköpfe; Selbſtbewußtſein und Mut, Neugier und Dreiſtigkeit ſind hervorſtehende Eigenſchaſten ihres Weſens. Unverfolgt traben ſie nux, anſcheinend nachläſſig, ihres Weges fort und peitſchen mit dem ſtets beweglihen Schwanze luſtig die Weichen; verfolgt fallen ſie in einen ebenſo leihten und ziexrlihen wie fördernden Galopp; aber au<h währenddem bleiben ſie von Zeit zu Zeit ſtehen, ſtellen ſi<h ſämtlich in einer und derſelben Richtung auf, ſichern und ſtürmen dann, eine lange Reihe bildend, unbeſorgt, gleichſam übermütig, mit derſelben Eile weiter wie vorher. Gewöhnlich, aber niht immer, entfliehen ſie bei Annäherung des Menſchen ſhon von weitem. Eines der Tiere ſteht, laut Hay, regelmäßig als Wache aus, meiſt in einer Entfernung von 100—200 m von der Herde. Dieſe Wache nähert ſih, wenn ſie eine ihr drohende Gefahr bemertt, gemähli<h den Gefährten, rüttelt Dieſelben auf, ſezt ſi<h an die Spiße des Zuges und eilt nun mit den Genoſſen entweder im Trabe oder im vollen Galopp davon. Der geſcheuhte Kulan läuft immer gegen den Wind, erhebt, wenn ex in vollſter Flucht iſt, ſeinen Kopf und ſtre>t den dünnen Schwanz von ſih. Der Hengſt hat nicht allein für den Zuſammenhalt, ſondern auch für die Sicherheit eines Trupps Sorge zu tragen und umkreiſt dieſen beſtändig, gibt auch in der Regel das Zeichen zur Flucht. Nicht ſelten trabt ex geradeswegs dem herankommenden Jäger zu, wird bei ſolcher Gelegenheit au<h wohl niedergeſchoſſen. Unter Umſtänden folgt er längere Zeit dem Reiter. „Bei einer Gelegenheit“, bemerkt Hay, „liefen zwei Kiangs längere Zeit hinter einem Pony her, auf welchem einer meiner Diener ritt, und näherten ſih dieſem ſo weit, daß ex fürchtete, von ihnen angegriffen zu werden.“ Ähnliches wird auch von Baldwin mitgeteilt, der auf der Birſh die neugierigen Tiere verſcheuchen mußte.

Ein ſo geartetes Tier entgeht leiht den Verfolgungen größerer Raubtiere. Jn den weſtaſiatiſhen Steppen gibt es ſolche, wel<he den Kulanen nachſtellen, überhaupt niht; denn die hier hauſenden Wölfe wagen niht, geſunde Wildpferde anzufallen, weil dieſe ihre kräftigen Hufe gegen Feinde trefflih zu gebrauchen wiſſen. Höchſtens ermattete und erfranfte, abſeits der Herde gehende Kulane dürften von den Wölfen angegriffen werden. Fm ſüdlichen und ſüdöſtlichen Teile des Verbreitungsgebietes tritt vielleicht der Tiger als Feind unſerer Tiere auf; da die Steppen ihm jedo< nur hier und da entſprehende Aufenthaltsorte bieten und dieſe von den Kulanen gemieden werden, fügt wahrſcheinlih auch er dem Beſtande der letzteren erhebliche Verluſte niht zu. Als gefährlicherer Feind erweiſt ſih der Menſch. Die eingeborenen Wanderhixten der Steppe jagen das Wildpferd mit Leidenſchaft, um ſo mehr, als dieſes alle Geſchiklichkeit des Jägers herausfordert. Selten gelingt es, ſelbſt auf einer welligen Flähe, ſih auf gute Entfernung anzuſchleihen. Nux ein Blattſhuß wirſt das kräftige, lebenszähe Wild im Feuer nieder; weidwund oder mit zerſchmettertem Beine entrinut es noc in faſt unbehinderter Eile, birgt ſih endlich außer Sicht des Süßen in einer Bodenſenkung, verendet hier und fällt dann den Wölfen, niht aber dem Schüben zur Beute. Daher ziehen es Kirgiſen wie Mongolen vor, dem Wildpferde an der erkundeten Tränke aufzulauern oder ihm, wenn deſſen gefährlichſter Feind, der Winter, mit dem Menſchen ſih verbündet, Schlingen zu legen. A. Walter wurde von Wolkownikow verſichert, daß Turkmenen es ſogar in ſtarken Eiſen zu fangen pflegen, doh äußert unſer Gewährsmann Zweifel an der Richtigkeit dieſer Angabe.