Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 1/3

74 Zehnte Drdnung: Unpaarzeher; erſte Familie: Pferde.

Galopp, bis das Ziel erreicht iſt. Kairo iſt die hohe Schule für alle Eſel. Hier erſt lernt man dieſes vortreffliche Tier kennen, ſchäßen, achten, lieben.

Auf unſeren Eſel freilih ſind Okens Worte vollkommen anzuwenden: „Der zahme Eſel iſt dur die lange Mißhandlung ſo heruntergekommen, daß er ſeinen Stammeltern faſt gar niht mehr gleiht. Er bleibt niht bloß viel kleiner, ſondern hat auch eine mattere, aſchgraue Farbe und längere, ſ<laffere Ohren. Der Mut hat ſi bei ihm in Widerſpenſtigkeit verwandelt / die Hurtigkeit in Langſamkeit die Lebhaftigkeit in Trägheit / die Klugheit zur Dummheit, die Liebe zur Freiheit in Geduld, der Mut in Ertragung der Prügel.“ Fhn meint au<h Scheitlin in ſeiner vortrefflichen Tierſeelenkunde. „Dex zahme Eſel iſt eher geſcheit als dumm; nur iſt ſeine Geſcheitheit nicht ſo gutmütig als die des Pferdes, mehr Tüte und Schlauheit und drückt ſi< am ſtärkſten dur<h Eigenwillen oder Eigenſinn aus. Jung, obſchon von einer Sklavin geboren, iſt ex ſehr munter und liebt poſſierliche Sprünge, wie alle Kindheit, ahnt, wie auh das Menſchenkind, ſein vielleicht gräßliches, trauriges Schi>ſal niht. Ft er erwachſen, ſo muß er ziehen und tragen und läßt ſich gut dazu abrichten, was auf Verſtändnis deutet; denn ex muß in den Willen eines andern Weſens, in den eines Menſchen, treten. Das Kalb iſ hierzu niemals verſtändig genug, und ſogar das Pferdefüllen merkt anfängli<h niht, was man eigentli<h mit ihm will. Wie geduldig aber auh der Eſel ſeine große Laſt trägt, er trägt ſie doh niht gern; denn ſobald er entlaſtet worden, trollt er ſi< gern auf dem Boden herum und ſchreit ſein \{hre>lihes Geſchrei heraus. Es muß ihm ein muſikaliſcher Sinn völlig mangeln. Seine Ohren deuten wirtli< etwas Beſonderes an.

„Sein Schritt iſt außerordentli<h ſicher. Etwa einmal will er ſhle<terdings mit dem Wagen nicht von der Stelle, und etwa einmal nimmt er Neißaus. Man muß immer auf ſeine Ohren ſehen ; denn er ſpielt fleißig mit ihnen und drü>t wie das Pferd ſeine Gedanken und Vorſäße durch ſie aus. Daß er die Prügel verachtet und kaum durch ſie angetrieben wird, deutet einerſeits auf Eigenſinn, anderſeits auf ſeine harte Haut. Seinen Wärter kennt er wohl; davon aber, daß er wie die Pferde Anhänglichkeit an ihn gewinne, iſt nicht die Rede. Doch läuft er auf ihn zu und bezeigt einige geringe Freude. Auffallend iſt an ihm die Empfindlichkeit für die erſt von fern herannahende Witterung: er hängt entweder den Kopf, oder er ma<ht muntere Sprünge.

„Sein Geſichtsausdru> iſt ſehr ausgezeihnet und nux höchſt ſelten durch den Pinſel wiedergegeben worden. Faſt immer vermißt man in den Bildern das eigentlih Eſelige. Seine Kopfform iſt der des Pferdes ſehr ähnlich, aber ſein Blik von jenem des Roſſes bedeutend verſchieden.“

Alle Sinne des zahmen Eſels ſind gut entwi>elt. Dbenan ſteht das Gehör, hierauf folgt das Geſicht und dann der Geruh; Gefühl ſcheint er wenig zu haben, und der Geſ<hma> iſt wohl auh niht beſonders ausgebildet ſonſt würde er ſicher begehrender, anſpruchsvoller ſein als das Pferd. Seine geiſtigen Fähigkeiten ſind, wie uns Scheitlin lehrte, niht ſo gering, wie man gewöhnlih annimmt. Er beſitzt ein vortrefflihhes Gedächtnis und findet jeden Weg, welchen er einmal gegangen iſt, wieder auf; ex iſt, ſo dumm er ausſieht, manhmal doh ret ſ{<hlau und liſtig, auh keineswegs beſtändig ſo gutmütig, wie man meint. Zuweilen zeigt er ſogar abſcheulihe Tücke. Er bleibt plößlih auf dem Wege ſtehen , läßt ſih ſelbſt durh Schläge niht zwingen , wirft ſi<h wohl au<h mit der Ladung auf die Erde, beißt und ſ{hlägt. Manche meinen, daß ſein empfindliches Gehör an allem dieſen Urſache ſei, daß ihn jeder Lärm betäube und erſhre>e, obgleih er ſonſt nicht eben fur<tſam, ſondern nux launiſch iſt. VBindet man ihm die Augen zu, ſo bleibt er ſtehen, verhüllt oder verſtopft man ihm das Ohr, niht minder; erſt wenn er im vollen Gebrauche ſeiner Sinne iſt, geht er weiter.