Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 2/1

104 Erſte Drdnung: Baumvögel; erſte Familie: Sänger.

Das Neſt ſteht bald tief, bald hoch über dem Boden, zuweilen in niederen Büſchen, zuweilen auh auf kleinen Bäumchen, bei großer Wohnungsnot ſogar, wie E. von Homeyer auf Hiddensöe erfuhr und zweifellos feſtſtellte, in Erdlöchern mit engem Eingange. Es iſt unter allen Grasmüenneſtern am leihtfertigſten gebaut und namentli< der Boden zuweilen ſo dünn, daß man kaum begreift, wie er die Eier feſthält. Zudem wird es ſorglos zwiſchen die dünnen Äſte hingeſtellt, ſo daß es, wie Naumann verſichert, kaum das oftmalige Ausund Einſteigen des Vogels aushält oder vom Winde umgeſtürzt wird. „Jn der Wahl des Plaßtes ſind die Gartengrasmüdten ſo unbeſtändig, daß ſie bald hier, bald da einen neuen Bau anfangen, ohne einen zu vollenden, und zulegt häufig den ausführen, welcher, na<h menſ<lichem Dafürhalten, gerade am unpaſſendſten Orte ſteht. Nicht allemal iſt hieran ihre Vorſicht huld. Wenn ſie einen Menſchen in der Nähe, wo ſie eben ihr Neſt zu bauen anfangen, gewahr werden, laſſen ſie den Bau gleich liegen; allein ih habe au an jolhen Orten, wo lange kein Menſch hingekommen war, eine Menge unvollendeter Neſter gefunden, welche öfters erſt aus ein paar Dußend kreuzweiſe hingelegten Hälmchen beſtanden, und wo das eine nur wenige Schritte vom anderen entfernt war, und ſo in einem jehr leinen Bezirke viele geſehen, ehe ih an das fertige mit den Eiern 2c. kam. Die vielen mit wenigen Hälmchen umlegten Stellen zur Grundlage eines Neſtes, welhe man beim Suchen na Neſtern in den Büſchen findet, rühren oft von einem einzigen Pärchen her.“ Das Gelege iſt erſt zu Ende des Mai vollzählig. Die 5—6 Eier, die es bilden, ſind 19 mm lang, 14 mm di>, ändern in Farbe und Zeichnung außerordentlich ab, ſind aber gewöhnlich auf trüb röt lichweißem Grunde mattbraun und aſchgrau gefle>t und gemarmelt. Beide Geſhle<ter brüten, das Männchen aber nur in den Mittagsſtunden. Nach einer 14 Tage währenden Bebrütung ſ<lüpfen die Jungen aus, nah weiteren 14 Tagen ſind ſie bereits ſo weit entwidelt, daß ſie das Neſt augenbli>lih verlaſſen, wenn ein Feind ſih ihnen nähert. Allerdings können ſie dann not nict fliegen, huſchen und klettern aber mit ſo viel Behendigkeit durs Gezweige, daß ſie dem Auge des Menſchen bald entſhwinden. Die Eltern benehmen ſi< angeſichts drohender Gefahr wie andere Mitglieder ihrer Familie, am ängſtlihhſten dann, wenn die Fungen in ihrem kindiſchen Eifer ſi ſelbſt zu retten ſuchen. Ungeſtört brütet das Pärchen nur einmal im Jahre.

Des aus8gezeihneten Geſanges wegen wird die Gartengrasmü>e häufig im Käfige gehalten, eignet ſih hierzu ebenſogut wie irgend eine andere Art ihres Geſchlechtes, wird leiht ſehr zahm, ſingt fleißig und dauert bei guter Pflege 10—15 Jahre in Gefangenſchaft aus.

Die allbekannte Zaun- oder Klappergrasmü>e, das Müllerchen, Müſllerlein, der Liedler und Spötter (Sylvia curruca und garrula, Motacilla curruca und C'aFrrula, Curruca garrula, superciliaris und septentrionalis) iſt der Gartengrasmüde niht unähnlich gefärbt, aber bedeutend kleiner: ihre Länge beträgt nur 14, die Breite höhſtens 21 cm ; der Fittih mißt 6,5, der Schwanz 5,8 em. Das Gefieder iſt auf dem Oberkopfe aſ{hgrau, auf dem Rü>en bräunlihgrau, auf dem Zügel grauſhwärzlih, auf der Unterſeite weiß, an den Bruſtſeiten gelbrötlih überflogen; die olivenbraunen Flügel- und Shwanzfedern ſind außen {mal fahlbraun, erſtere auh innen und zwar weißli<h geſäumt; die äußerſte Shwanzfeder jederſeits iſt außen, ihre Endhälfte auh innen weiß. Das Auge iſt braun, der Schnabel dunkel-, der Fuß blaugrau.

Das Verbreitungsgebiet des Müllerchens erſtre>t ſich über das ganze gemäßigte Europa und Aſien, nah Norden hin bis Lappland, nah Oſten hin bis China, nah Süden hin bis Griechenland, das Wandergebiet bis Mittelafrika und Jndien. Die Zaungrasmüce trifft bei uns erſt im Anfange des Mai ein und verläßt uns ſhon im September wieder. Während ihres kurzen Sommerlebens in der Heimat ſiedelt ſie ſich vorzugsweiſe in Gärten, Gebüſchen