Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 2/1

Mönchs8grasmücke. Gartengrasmüd>e. 103

Als die Heimat der Gartengrasmüce darf Mitteleuropa angeſehen werden. Nach Noxrden hin verbreitet ſie ſih bis zum 69. Grade der Breite; na< Süden hin nimmt ſie raſh an Anzahl ab; nah Oſten hin überſchreitet ſie den Ural niht. Fn Südfrankreich und Ftalien tritt ſie häufig auf; in Spanien und Portugal iſt ſie ebenfalls Brutvogel; Griechenland und Kleinaſien dagegen berührt ſie nur während ihres Zuges, welcher ſie bis Weſtafrika führt. Sie trifft bei uns frühſtens zu Ende des April oder im Anfange des Mai ein und verläßt uns im September wieder. Auch ſie lebt im Walde und zwar im Laub- wie im Nadelwalde, bewahrheitet jedoh auch ihren Namen; denn jeder buſchreihe Garten, nament: lih jeder Obſtgarten, weiß ſie zu feſſeln. Sie treibt ſih ebenſoviel in niederen Gebüſchen wie in den Kronen mittelhoher Bäume umher, wählt aber, wenn ſie ſingen will, gern eine mäßige Höhe.

„Sie iſt“, wie Naumann ſagt, „ein einſamer, harmloſer Vogel, welcher ſi< dur ſtilles, jedo<h thätiges Leben auszeichnet, dabei aber keinen der ihn umgebenden Vögel ſtört oder anfeindet und ſelbſt gegen die Menſchen einiges Zutrauen verrät; denn ſie iſt vor: ſichtig, aber niht ſcheu und treibt ihr Weſen oft unbekümmert in den Zweigen der Obſtbäume, während gerade unter ihr Menſchen arbeiten. Sie hüpft wie die anderen Grasmüd>en in ſehr gebü>ter Stellung leicht und ſ{hnell dur die Äſte hin, aber ebenſo ſ{werſällig, ſchief und ſelten auf der Erde wie jene. Da ſie mehr auf Bäumen als im Gebüſche lebt, ſo ſieht man ſie auh öfter als andere Arten von Baum zu Baum ſelbſt über größere freie Flächen fliegen; ſie ſ<hnurrt dann ſhußweiſe fort, während ſie im Wanderfluge eine regelmäßigere Schlangenlinie beſchreibt.“ Die Lockſtimme iſt ein ſ<hnalzendes „Tä tät“, der Warnungsruf ein ſhnarchendes „Rhahr“, der Angſtruf ein ſhwer zu beſchreibendes Gequakt, der Ausdru> des Wohlbehagens ein ſanftes, nur in der Nähe vernehmliches „Biwäwäwü“. Dex Geſang gehört zu den beſten, welche in unſeren Wäldern oder Gärten laut werden. „Sobald das Männchen“, fährt Naumann fort, „im Frühlinge bei uns ankommt, hört man ſeinen vortrefflichen, aus lauter flötenartigen, ſanften, dabei aber doch lauten und ſehr abwechſelnden Tönen zuſammengeſeßten Geſang, deſſen lange Melodie im mäßigen Tempo und meiſtens ohne Unterbrehung vorgetragen wird, aus dem Grün der Bäume erſchallen, und zwar vom frühen Morgen bis nah Sonnenuntergang, dèn ganzen Tag über, bis nah Zohannistag. Nur in der Zeit, wenn das Männchen brüten hilft, ſingt es in den Mittagsſtunden nicht, ſonſt zu jeder Tageszeit faſt ununterbrochen, bis es Junge hat; dann macht die Sorge für dieſe öftere Unterbrehungen notwendig. Während des Singens ſigt es bloß am frühen Morgen, wenn eben die Dämmerung anbricht, ſonſt ſelten und nux auf Augenblide ſtill in ſeiner He>e oder Baumkrone, iſt vielmehr immer in Bewegung, hüpft ſingend von Zweig zu Zweig und ſucht nebenbei ſeine Nahrung. Der Geſang hat die längſte Melodie von allen mir befannten Grasmücengeſängen und einige Ähnlichkeit mit dem der Mönchsgrasmüd>e, noch viel mehr aber mit dem der Sperbergrasmüke, dem er, bis auf einen durchgehends reineren Flötenton, vollkommen gleihen würde, wenn in jenem niht einige weniger melodiſche oder unſanſtere Stellen vorkämen.“ Nach meinen Beobachtungen iſt der Geſang je nah Örtlichkeit und Fähigkeit weſentlich verſchieden. Am beſten von allen Gartengrasmü>en, die ih kennen gelernt habe, ſingen die Oſtthüringens. Eine Sperbergrasmüde, welche ihnen gleih gekommen wäre, habe ih nie gehört, wohl aber mehr als eine Gartengrasmüce, die mit dem Mönche wetteifern durfte. Eine, die meinem Vater in ergreifender Weiſe das Grablied ſang und länger als 10 Jahre unſeren Garten bewohnte, war die ausgezeichnetſte Sängerin, der ich je gelauſcht, und hat eine Nachkommenſchaft hinterlaſſen, deren Lieder mich allſommerlich erqui>ten und entzüten, obgleich ſie das unvergleichliche Vorbild nicht erreichten.

Hinſichtlich dex Nahrung ſtimmt die Gartengrasmücke mit dem Mönche am meiſten überein.