Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 2/1

Schuß und Unterricht der Jungen. Dili

Verſtellungskünſten aller Art. Mit ſcheinbar gebrochenem Flügel flattert und hinkt die Mutter, bei vielen auc der Vater, angeſihts des Feindes dahin, verſucht ihn vor allem von den Kindern abzulenken, führt ihn weiter fort, ſteigert ſeine Raubgier durch allerlei Gebärden, erhebt ſi plöglic, gleihſam frohlo>end, um zu den jeßt geborgenen Fungen zurü>zukehren, führt dieſe eiligſt weg und überläßt dem böſen Feinde das Nachſehen. Elternſorgen bethätigen auch die Neſtflüchter, und Elternliebe bekunden ſie in niht geringerem Grade als die Neſtho>er.

Aber weder die einen noch die anderen haben ausgeſorgt, wenn die Jungen das Neſt verlaſſen haben oder ſo weit erſtarkt ſind, daß ſie au< wohl ohne die Mutter durchs Leben ih zu helfen vermöchten, mindeſtens ihre Nahrung zu finden wiſſen. Denn die Vögel unterrihten ihre Jungen ſehr ausführlih in allen Handlungen, welche für die ſpätere Selbſtändigkeit unerläßli<h ſind. Unter gellendem Rufe ſehen wir den Mauerſegler, ſobald die Fungen flugbar geworden ſind, durch die Straßen unſerer Städte jagen oder unſere Kirchtürme umſ<hweben, in wilder Haſt unter allerlei Shwenkungen dahinſtürmen, bald hoch zum Himmel auſſteigen, bald dicht über dem Boden dahinſtreifen und damit eine Unterrihtsſtunde vor unſeren Augen abhalten. Es handelt ſi< darum, die jungen Segler in der hweren Kunſt des Fliegens genügend zu üben, zu ſelbſtändigem Fange der Kerbtiere, welche die Eltern bis dahin herbeiſhleppten, anzuhalten und für die demnächſt anzutretende Reiſe vorzubereiten. Bei allen guten Fliegern erfordert ſolcher Unterricht längere Zeit, bei denen, welche fliegend ihre Nahrung erwerben müſſen, beſondere Sorgfalt. So vereinigen ſih bei den Edelfalken Männchen und Weibchen, um die Kinder zu belehren, wie ſie ihre Zagd betreiben ſollen. Eines der Eltern fängt eine Beute, fliegt mit ihr weit in die Luft hinaus, erhebt ſi< allmählich über die folgende Kinderſchar und läßt die Beute fallen. Fängt ſie eines der Jungen, ſo belohnt ſie es für die aufgewandte Mühe; wird ſie von allen verfehlt, ſo greift ſie, noch eche ſie den Boden im Fallen berührte, der unter den Kindern einherfliegende Gatte des Elternpaares und ſ{<hwingt ſi< nun ſeinerſeits in die Höhe, um dasſelbe Spiel zu wiederholen. So ſieht man alle Vögel durch Lehre und Beiſpiel Unterricht erteilen, und die unendliche Liebe der Eltern bethätigt ſi bei dieſer Gelegenheit wie bei jeder anderen. Erſt wenn die Jungen ſelbſtändig geworden und im Gewerbe vollkommen geübt ſind, endet ſolcher Unterricht, und nunmehr wandelt ſich die Zuneigung der Eltern oft in das Gegenteil um. Dieſelben Vögel, welche bis dahin unermüdlih waren, um ihre Brut zu ernähren und zu unterrichten, vertreiben ſie jeßt rücſihtslos aus ihrem Gebiete und kennen ſie fortan niht mehr. Die Kinder hängen mit faſt gleicher Zärtlichkeit an ihren Eltern wie leßtere an ihnen, obgleih au< in dieſem Falle die Selbſtſucht jüngerer Weſen zu einem hervorſtehenden Zuge wird. Gehorſam und folgſam ſind die meiſten von ihnen nux ſo lange, wie dieſer Gehorſam durh Darreichen von Nahrung belohnt wird; Eigenwille macht ſi< au< unter den Vogelkindern ſchon in frühſter Jugend geltend und muß zuweilen ſelbſt dur< Strafe gebrochen werden. Erſt eigene Erfahrung vollendet den Unterricht, ſowenig ſi< au< verkennen läßt, daß Lehre und Beiſpiel befruchtend wirken.

Ermwähne ih nun noch, daß es einzelne Vögel gibt, welche vom erſten Tage ihres Lebens außerhalb des Eies an jeder elterlichen Fürſorge entbehren und dennoch ihre Art erhalten, ſo habe ih in großen flüchtigen Zügen ein allgemeines Bild des Fugendlebens entrollt.

Mehrere Vögel treten unmittelbar nah vollendeter Brutzeit eine Reiſe an, welche je na< Art und Familie oder nah Heimat und Wohnkreis eine längere oder kürzere, ausgedehntere oder beſhränktere iſt. Wir unterſcheiden dieſe Reiſen als Zug, Wanderſchaft und Streichen. Unter Zug verſtehen wir diejenige Art der Wanderung, welche alljährlich zu