Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 2/1

96 Erſte Ordnung: Baumvögel.

leßteren Falle fehlt die erſte, wel<he ſonſt ſhon zu einem kleinen Stummel verkümmert zu ſein pflegt. Die Anzahl der Armſchwingen ſ{hwankt zwiſchen 9 und 14; erſtere Zahl iſt die regelmäßige. Die Armde>en ſind gewöhnlich kurz und laſſen meiſt die Hälfte der Schwingen unbede>t. Auch findet ſich nur eine einfache Reihe größerer Deckfedern, an welche die kleinen am Buge und am Rande der Flughaut ſizenden Federn ſtoßen. Der Schwanz beſteht aus 12, ausnahmsweiſe aber 10 Steuerfedern. Daunen zwiſchen den Außenfedern kommen ſelten und, wenn überhaupt, nur ſpärlich vor.

Das Knochengerüſt läßt namentli<h im Schädel erhebliche Verſchiedenheiten erkennen; doh bekundet der leßtere in der gleichen Entwidelung des Pflugſcharbeines, der Gaumenfortſäße der Oberkiefer und der Gaumenbeine viel Übereinſtimmendes. Erſteres iſt vorn eingeſchnitten, hinten tief geſpalten, ſo daß es die Keilbeinſpißen umfaßt: die Gaumenfortſäße des Oberkiefers ſind dünn, lang, zuweilen breiter, biegen ſi< nath innen und hinten über die Gaumenbeine und enden unter dem Pflugſcharbeine mit verbreiterten, muſchelartig ausgehöhlten Enden, welche jedo<h bei einzelnen Familien fehlen, die Gaumenbeine endlih meiſt breit und hinten fah. Bezeichnend für alle Sperlingsvögel iſt eine beſondere knöcherne Nöhre, welche die Luſt aus der Paukenhöhle in die Lufträume des Unterkiefers führt. Die Wirbelſäule beſteht aus 10—14 Hals-, 6—8 Rüen-, 6— 13 Kreuzbein- und 6—8 S{hwanzwirbeln. Der Kamm des Bruſtbeines iſt am Vorderrande ausgeſ<hweift und der Hinterrand faſt immer ausgeſchnitten. Am Vorderende des Schlüſſelbeines befindet ſi< ein ſtark entwi>elter Anhang in Form eines zuſammengedrücten Kegels. Der Vorderarm iſt etwas länger als der Oberarm, aber ebenſowenig wie die Hand auffallend verlängert. Die Beine zeigen regelmäßige Bildung. Die Zunge, deren horniger Überzug am Rande und an der Spibe oft gezahnt oder zerfaſert ſein kann, entſpricht in Form und Größe dem Schnabel. Die Speiſeröhre erweitert ſi<h niht zum Kropfe; der Magen iſt fleiſhig; Gallenblaſe und Blinddarm ſind ſtets vorhanden.

Entſprechend ihrer außerordentlichen Anzahl iſt die Verbreitung der Sperlingsvögel. Sie ſind Weltbürger und bilden den weſentlichſten Teil der gefiederten Einwohnerſchaft aller Gürtel der Breite oder Höhe, aller Gegenden, aller Örtlichkeiten. Sie bewohnen jedes Land, jeden Gau, die eiſigen Felder des Hochgebirges oder des Nordens wie die glühenden Niederungen der Wendekreisländer, die Höhe wie die Tiefe, den Wald wie das Feld, das Rohrdickicht der Sümpfe wie die pflanzenloſe Steppe, die menſhenwogende Weltſtadt wie die Einöde; ſie fehlen nirgends, wo ihnen irgend eine Möglichkeit zum Leben geboten iſt: ſie finden noh auf öden Felſeninſeln mitten im Eismeere Aufenthalt und Nahrung. Nur die Raubvögel beherrſchen ein annähernd gleih ausgedehntes und verſchiedenes Gebiet; die Sperlingsvögel aber ſind ungleih zahlreiher an Arten und Einzelweſen als jene und ſhon deshalb verbreiteter. Bloß das Meer ſtößt ſie zurü>; ſie ſind Kinder des Landes. Soweit der Pflanzenwuchs veiht, dehnt ſih ihr Wohngebiet. Jn den Wäldern treten ſie häufiger auf als in waldloſen Gegenden, unter den Wendekreiſen in zahlreicherer Menge als im gemäßigten oder kalten Gürtel; doh gilt auch dies für die Geſamtheit nur bedingungsweiſe. Viele Arten leben faſt oder ausſ<ließli< auf dem Boden, und weitaus die meiſten ſind ihm mindeſtens nicht fremd. Die Nähe des Menſchen meiden die wenigſten unter ihnen; viele bitten ſih vielmehr bei dem Gebieter der Erde zu Gaſte, indem ſie vertrauensvoll ſein Haus und ſein Gehöft, ſeinen Obſt- oder Ziergarten beſuchen, und kein einziger von ihnen würde die Nachbarſchaft der Wohnungen ſcheuen, träte der Menſch ihnen nicht feindlih gegenüber, ſei es auh nur inſofern, als er ihnen zuſagende Wohnſiße ſeinen Zwe>en gemäß umgeſtaltet.

Wer die Sperlingsvögel insgemein zu den hochbegabten Gliedern ihrer Klaſſe zählt, gewährt ihnen nicht mehr als Necht. Nicht wenige Vogelkundige ſehen, dem Vorgange von Cabanis folgend, die Nachtigall als den vollkommenſten aller Vögel an, und Owen hat