Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 2/1

42 Erſte Ordnung: Baumvögel; erſte Familie: Sänger,

Forſtwirt, welcher jeden Buſch, jede He>e rodet, den Wald zu Feld oder im günſtigſten Falle zu gleihförmigen Forſten umwandelt, fügt ihnen größeres Unheil zu. Erdſänger gefangen zu halten, iſt, falls man ſie ſachkundig zu pflegen verſteht, niht als Verbrechen zu bezeichnen, vielmehr durchaus gerehtfertigt; denn gerade dieſe Vögel gehören zu den angenehmſten Stubengenoſſen , wel<he ſih der an das Zimmer gebannte Menſch erwerben kann. Rechtzeitig gefangen und ſachkundig gepflegt, gewöhnen ſie ſih bald an den Verluſt der Freiheit, befreunden ſi< innig mit ihrem Gebieter, geben dieſem ihre Zuneigung und Anhänglichkeit in jeder Weiſe zu erkennen, bekunden Trauer, wenn ſie ihn vermiſſen , jubelnde Freude, wenn ſie ihn wieder erſcheinen ſehen, treten mit einem Worte mit dem Menſchen in ein wirklih inniges Verhältnis. Aber ſie wollen gepflegt, abgewartet, beobachtet und verſtanden ſein, wenn man zu erreichen ſtrebt, daß ſie längere Zeit im Käfige ausdauern, und deshalb ſoll der, welcher eine Droſſel, eine Nachtigall dem Walde und ſeinen Mitmenſchen rauben will, um ſie allein zu beſißen, erſt bei einem erfahrenen Vogler in die Lehre gehen, aber auch die rechte Liebe und die re<hte Geduld mitbringen; denn ohne dieſe Liebe und Geduld wird er einem edlen Weſen nicht bloß ſeine Freiheit, ſondern auch ſein Leben nehmen. Auch in dieſem Falle iſt es die Unkenntnis, nicht aber verſtändnisvolle Liebhaberei, welche frevelt.

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Die höchſtſtehenden Erdſänger ſind vielleicht die Rotſhwänze (Erithacus). Sie kennzeihnen ſih vor allem durc die roſtbraune Färbung des Schwanzes, ferner durch zierlihen Schnabel, verhältnismäßig {hwahe Schnabelborſten und mittellange Flügel.

Unſere ſeit altersgrauer Zeit hohberühmte Nachtigall (Brithacus luscinia, Lusciola luscinia, Tuscinia vera, megarhynchos, media, okeni und peregrina, Motacilla, Sylvia, Curruca, Daulias und Philomela luscinia) fann mit wenig Worten beſchrieben werden. Das Gefieder der Oberſeite iſt roſtrotgrau, auf Scheitel und Rü>en am dunkelſten, das der Unterſeite licht gelblichgrau, an der Kehle und Bruſtmitte am lihteſten; die Shwingen ſind auf der Fnnenfahne dunkelbraun, die Steuerfedern roſtbraunrot. Das Auge iſt rotbraun, der Schnabel und die Füße ſind rötlih graubraun. Das Jugendkleid iſt auf rötlich braungrauem Grunde gefle>t, weil die einzelnen Federn der Oberſeite lihtgelbe SchaftfleŒen und ſ{wärzlihe Ränder haben. Die Länge beträgt 17, die Breite 25, die Fittichlänge 8, die Shwanzlänge 7 cm. Das Weibchen iſt ein wenig kleiner als das Männchen.

Der Sproſſer oder die Aunachtigall (Erithacus philomela, Tusgciola philomela, Tuscinia philomela, major und eximia, Motacilla, Sylvia, Curruca und Dauliag philomela, Philomela magna) if größer, namentli< ſtärker als die Nachtigall, ihr aber ſehr ähnlih. Als wichtigſte Unterſcheidungsmerkmale gelten die viel kürzere erſte Schwinge und die wolkig gefledte, wie man zu ſagen pflegt, „muſqhelfle>ige“ Oberbruſt. Die Länge beträgt 19, die Breite etwa 28, die Fittichlänge 9, die Schwanzlänge 8 ecm.

Außer dieſen beiden Arten ſind neuerdings no andere Nachtigallen unterſchieden worden. Dahin gehören: der Zweiſchaller (Erithacus hybrida, Lusciola hybrida, Luscinia hybrida), ein Vogel von der Größe des Sproſſers, mit ebenſo verkürzter erſter Handſchwinge, oberſeits wie der Sproſſer, unterſeits faſt ganz wie die Nachtigall gefärbt, aus Polen, die Steppennachtigall (Erithacus golzii, Lusciola golzii, Luscinia golziî), welche dur bedeutendere Größe, die verhältnismäßig kürzere zweite Handſhwinge und die oberſeits deutlih rotbraune Färbung und den Mangel der rotbraunen Außenränder von unſerer Nachtigall ſih unterſcheidet, ſowie endlich die Hafisnachtigall oder der Bülbül