Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 2/1

50 Erſte Drdnung: Baumvögel; erſte Familie: Sänger.

erwieſenermaßen Gebirge von 5000 m überſteigend, um in Jndien und anderen ſüdaſiatiſchen Ländern Herberge zu nehmen. Bei uns zu Lande erſcheinen die Blaukehlchen im Anfange des April, ſelten früher, meiſt erſt gegen die Mitte des Monates hin, und reiſen im September ihrer Winterherberge zu. Buſch- und gras- oder ſchilfreiche Fluß-, Bach- und Seeufer ſind in unſerem Vaterlande, die Tundren im Norden ihre Wohnſißze; während der Wintermonate nehmen ſie in Gärten und Buſchdikichten auf Feldern, auf hochgraſigen Wieſen, in ſchilfreihen, niht allzu waſſerreihen Sümpfen und an ähnlichen Orten ihren Aufenthalt. Sie dehnen ihre Wanderung nicht ſo weit aus wie andere Sänger, überwintern ſhon in Unter- und Mittelägypten oder in Mittelchina und in Nordindien, ſtreifen aber einzeln doh bis in die ſüdlihen Tiefebenen Oſtindiens oder bis in die Waldungen des oberen Nilgebietes hinab. Auf ihrer Reiſe pflegen ſie beſtimmte Straßen, 3. B. Fluß- und Bachthäler, einzuhalten und hier an gewiſſen Stellen regelmäßig zu raſten. Während des Frühlingszuges wandern die Männchen einzeln den Weibchen voraus, im Herbſte zieht alt und jung geſellſchaftlich; im Frühlinge folgen die Reiſenden ausſ\<hließlih den Bach- oder Flußufern, im Herbſte binden ſie ſih niht an dieſe natürlichen Straßen, ſondern wandern gerade dur das Land, am Tage in Feldern raſtend, deren Frucht no< niht eingeheimſt wurde, kommen dann auh wohl vereinzelt mitten in der Wüſte vor.

Für den Sommeraufenthalt des Blaukehlchens ſind feuhte Buſchdi>kichte nahe am Waſſer Bedingung. Deshalb meidet das Weißſternblaukehlchen in Deutſhland während der Brutzeit Gebirge faſt gänzlich, wogegen das Tundrablaukehlchen im Norden zwiſchen der Tiefe und Höhe keinen Unterſchied macht, in Skandinavien ſogar Höhen vorzieht, weil hier auf den breiten Fjelds der Berge See an See, oder mindeſtens Pfuhl an Pfuhl, dur< Hunderte von kleinen Bächen verbunden und wie dieſe mit niederem Geſtrüppe eingefaßt und umgeben, ſi finden. Solche Örtlichkeiten ſind Paradieſe für unſere Vögel, und ihnen müſſen diejenigen Niederungen Deutſchlands ähneln, in denen es dem Weißſternblaukehlchen gefallen, in denen das nah Vermehrung ſeines Geſchlechtes ſtrebende Paar ſi anſiedeln ſoll.

Das Vlaukehlchen, gleichviel, um welche Art es ſi handelt, iſ ein liebenswürdiger Vogel, welcher ſih jeden Beobachter zum Freunde gewinnt. Nicht ſeine Schönheit allein, auh, und wohl noh in höherem Grade, ſein Betragen, ſeine Sitten und Gewohnheiten ziehen uns an und feſſeln uns. Wie bei den meiſten Erdſängern iſt beim Blaukehlhen leibliche und geiſtige Begabung in glü>lihſter Weiſe vereinigt. Die größte Gewandtheit der Bewegung zeigt es auf dem Boden: es iſt der Erdſänger im eigentlichen Sinne des Wortes. Sein Gang iſt kein Schreiten, ſondern ein Hüpfen; die einzelnen Sprünge folgen ſich aber ſo raſch, daß man ſie niht unterſcheiden kann und im laufenden Blaukehlchen eher einen NRennvogel als einen Sänger zu ſehen glaubt. Dabei iſt es ihm gleichgültig, ob es ſein Weg über tro>enen oder {hlammigen Boden, über freie Stellen oder dur das verworrenſte Buſch- und Grasdikicht führt; denn es verſteht meiſterhaft, überall fortzukommen. Jm Gezweige ſelbſt fliegt es höchſtens von einem Aſte zum anderen und bleibt da, wo es auf flog, ruhig ſigen. Auf dem Boden ſizend oder laufend, macht es einen ſehr angenehmen Eindru>. Es trägt ſih aufre<t und den Schwanz geſtelzt, ſieht deshalb ſelbſtbewußt, ja ke> aus. Der Flug iſt \{nell, aber nicht beſonders raſh, geſchieht in größeren oder kleineren Bogen, wird aber ſelten weit ausgedehnt. Gewöhnlih erhebt ſi< der Vogel nur 1—2 m über den Boden und ſtürzt ſi<h beim erſten Verſte>e, welches ex auffindet, wieder zu ihm hernieder, um ſeinen Weg laufend fortzuſeßen. Die Sinne ſtehen mit denen der Nachtigall ungefähr auf gleicher Stufe, der Verſtand auf gleicher Höhe. Das Blaukehlchen iſt lug und merkt bald ob ihm ein anderes Weſen in freundlicher oder wohlwollender Abſicht entgegentritt. Gewöhnlich zeigt es ſi harmlos, dem Menſchen gegenüber zutraulich; erfährt es jedo<h Nachſtellungen, ſo wird es bald äußerſt vorſichtig und ſcheu. Ungeſtört,