Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 2/2
Kranich. Mönchskvranich. Antigonekranih. Jungfernkran1ch. GTT
Unſer deutſcher Kranich, auf deſſen Lebensſchilderung ih mich beſ<hränken muß, erſcheint im Sudan ſcharenweiſe im Oktober und bezieht hier größere Sandbänke in den Strömen, die über den Waſſerſpiegel hervorragen. Fn Jndien trifft er ebenfalls zu derſelben Zeit in namhafter Anzahl ein und bewohnt dann ähnliche Örtlichkeiten. Dur Deutſchland ſieht man ihn Anfang Oktober und Ende März regelmäßig in zahlreichen Geſellſchaften, die in hoher Luft fliegen, die Keilordnung ſtreng einhalten und nur zuweilen kreiſend in wirre Flüge ſi< auflöſen, vielleicht auh hier und da auf den Boden herabkommen, nixgends aber längere Zeit verweilen, ſeines Weges dahinziehen. Dieſe Züge halten eine gewiſſe Richtung, vor allem die bekannten Heerſtraßen der Vögel, alljährlih ein und lafſen ſi< nux dur< ungewöhnliche Erſcheinungen ablenken: ſo beobachtete mein Vater, daß ein Kranihzug dur< das brennende Dorf Ernſtroda in Thüringen herbeigelo>t wurde und längere Zeit über den Flammen freiſte, dur< lautes Geſchrei das Rufen der Arbeiter, die Klagen der Abgebrannten , das Brüllen des Viehes, das Praſſeln des Feuers und das Krachen der Gebäude no< übertönte und in der Seele des damaligen Knaben einen Eindru> zurüdließ, der in der Erinnerung des Greiſes noch in voller Friſche ſtand. Vor dem Herbſtzuge geſellen ſie ſih, wie die Störche, auf beſtimmten Örtlichkeiten, von welchen ſie ſich eines Tages unter großem Geſchrei erheben, und fliegen nun raſtlos, Tag und Nacht reiſend, ihrer Winterherberge zu. Hier angelangt, ſenken ſie ſih tief hinab und ſuchen nun nach einer ihren Anforderungen entſprechenden und von anderen Wanderzügen noh niht beſeßten Fnſel. Solange ihr Aufenthalt in der Fremde währt, halten ſie ſi ſtets in zahlreihen Scharen zuſammen und nehmen auch verwandte Arten, in Afrika die Fungferncraniche, in Fndien die Antigone-, in Südchina und Siam außer leßzteren auh die Weißna>en- und Schneekraniche, unter ſi<h auf. Mit ihnen fliegen ſie gemeinſam jeden Morgen auf die Felder hinaus, um hier Nahrung zu ſuchen, kehren in den Vormittagsſtunden zurü> und verweilen nun Tag und Nacht auf den Jnſeln, zeitweilig ſih mit verſchiedenen Spielen vergnügend und beſtändig im Gefieder pugend und ordnend, da die jebt ſtattfindende Mauſer derartige Sorgfalt nötig macht. Scharenweiſe brechen ſie auh auf, und noch vereinigt kommen ſie in der Heimat an; hier aber löſen ſih die Heere allmählih in fleinere Trupps und dieſe in Paare auf, und jedes Paar bezieht nun eine zur Fortpflanzung geeignete Örtlichkeit, die ſi<h von der Winterherberge weſentlih unterſcheidet. Jn Jndien oder im Sudan iſt der Kranih Strandvogel, im Norden Europas oder Aſiens wird er zum vollendeten Sumpſvogel. Er bezieht hier die großen Brüche oder Sümpfe der Ebene und wählt in den Moräſten diejenigen Stellen aus, welche mit niedrigem Seggengraſe oder Riede bewachſen ſind, ihm aber unter allen Umſtänden weite Ausſicht geſtatten. Sie werden zu ſeinem Brutgebiete, und von ihnen fliegt er hinaus auf die Felder, wo er während des Sommers ſeine Nahrung ſucht. Brüche, Sümpfe oder Moräſte, in welchen viel Buſchwerk oder hohes Nöhriht wächſt, liebt er nicht, es ſei denn, daß ihre Ausdehnung die Annäherung eines Menſchen erſhwere und ihm die nötige Sicherheit verbürge.
Jede Bewegung des Kranichs iſt ſhön, jede Äußerung ſeiner höheren Begabungen feſſelnd. Der große, wohlgebaute, bewegungsfähige, ſcharfſinnige und verſtändige Vogel iſt ſich ſeiner ausgezeichneten Fähigkeiten wohl bewußt und drü>t ſolhes dur ſein Betragen aus, ſo verſchiedenartig dieſes auh ſein mag. Mit leichten, zierlichen, aber doch abgemeſſenen Schritten, gewöhnlih ruhig und würdevoll, nur im Falle der Not eilend und rennend, geht er ſeines Weges dahin; ohne Mühe erhebt er ſi<h nac einem oder nach zwei Sprüngen vom Boden, mit wenigen, weit ausholenden Schlägen der träſtigen Flügel gewinnt ev die nötige Höhe, und nunmehr fliegt er, Hals und Beine gerade von ſich geſtre>t, ſtetig und ohne Eile zu verraten, aber do< \hnell und fördernd dahin, mit Entſchiedenheit einem beſtimmten Ziele zuſtrebend. Aber derſelbe Vogel ergößt ſih au<h, wenn