Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 2/2
678 Sechſte Ordnung: Kranichvögel; erſte Familie: Kraniche.
ihn die Laune anwandelt, durch luſtige Sprünge, übermütige Gebärden, ſonderbare Stellungen, Verneigungen des Halſes, Breiten der Flügel und förmlihes Tanzen oder dreht ſi fliegend in prachtvollem Reigen längere Zeit über einer Stelle umher. Wie im Übermute nimmt ex Steinchen und Holzſtük<hen von der Erde auf, ſchleudert ſie in die Luft, ſueht ſie wieder aufzufangen, bü>t ſih raſ<h nacheinander, lüftet die Flügel, tanzt, ſpringt, rennt eilig hin und her, drü>t durch die verſchiedenſten Gebärden eine unendliche Freudigfeit des Weſens aus: aber er bleibt immer anmutig, immer ſ{hön. Wahrhaft bewunderungswürdig iſt ſeine Klugheit. Überraſchend {nell lernt er die Verhältniſſe beurteilen oder würdigen und rihtet nah ihnen ſeine Lebensweiſe ein. Er ‘iſt niht ſcheu, aber im allerhöchſten Grade vorſichtig und läßt ſih deshalb ſehr ſ{<hwer überliſten. Der einzelne denkt ſtets an ſeine Sicherheit; eine Herde ſtellt regelmäßig Wachen aus, denen die Sorge für die Geſamtheit obliegt; die beunruhigte Schar ſendet Späher und Kundſchafter, bevor ſie den Ort wieder beſucht, auf welhem ſie geſtört wurde. Mit wahrem Vergnügen habe ih in Afrika beobachtet, wie vorſichtig die Kraniche zu Werke gehen, ſobald ſie auh dort die Tücke des Menſchen kennen gelernt haben: wie ſie zunächſt einen Kundſchaſter ausſenden, dann mehrere, wie dieſe ſorgſam ſpähen und lauſchen, ob ſih no< etwas Verdächtiges zeige, wie ſie ſich erſt nach den eingehendſten Unterſuhungen beruhigen, zurü>fliegen, die Geſamtheit benahri<htigen, dort noh immer niht Glauben finden, dur< Gehilfen unterſtüßt werden, nohmals auf Kundſchaft ausfliegen und nun endlich die ganze Schar nach ſi ziehen.
Auf Bäume pflegen ſich die Kraniche niht zu ſezen; Pechuel-Loeſche hat indeſſen ſchon einigemal einzelne und mehrere auf hohen, dürren Zaden von Waldbäumen ſtehen ſehen. Jm Notfalle ſ{<hwimmen ſie auh geſchi>t.
Eigentlich lernt man den Kranih während ſeines Freilebens nie vollſtändig kennen, muß ihn vielmehr zum Geſellſchafter erworben haben, wenn man über ihn urteilen will. So vorſichtig er dem Menſchen ausweicht, ſolange er frei iſt, ſo innig ſ{hließt er ſih ihm an, wenn er in deſſen Geſellſchaft kam. Mit Ausnahme der klügſten Papageien gibt es feinen Vogel weiter, der in gleicher Weiſe wie er mit dem Menſchen verkehrt, jede menſ<hliche Haltung verſtehen und begreifen lernt und ſi ſo gut, wie es ihm möglich, verſtändlich und nüßlih zu machen weiß. Ex ſieht in ſeinem Gebieter niht bloß den Brotherrn, ſondern auch den Freund und bemüht ſi, dies kund zu geben. Leichter als jeder andere Vogel gewöhnt er ſi< an das Gehöft, an das Haus ſeines Pſflegers, lernt hier jedes Zimmer, jeden Naum kennen, die Zeit abſchäßen, die Verhältniſſe würdigen, in welchen andere Leute oder Tiere zum Gaſtfreunde ſtehen, bekundet bewunderungswertes Verſtändnis für Ordnung, duldet auf dem Geflügelhofe keinen Streit, hütet, ohne dazu aufgefordert zu werden, gleich dem verſtändigſten Hunde das Vieh, ſtraft dur< ſcheltendes Geſchrei oder empfindliche Shnabelhiebe und belohnt dur< freundliches Gebaren, Verneigungen und Tanzen, befreundet ſi mit wohlwollenden Menſchen und drängt ſih in deren Geſellſchaft, läßt ſich aber nichts gefallen und trägt ungebührlihe Beleidigungen monate-, ja jahrelang nah. Es liegen über ſeinen Verſtand ſo viele Beobachtungen vor, daß ih kein Ende finden könnte, wollte ih ſie hier anführen.
Mit anderen Mitgliedern der Familie, au< wohl mit verwandten Vögeln, lebt der Kranich in gutem Einvernehmen; in ein Freundſchaftsverhältnis tritt er aber nur mit ebenbürtigen Geſchöpfen. Geſelligkeit ſcheint ihm Bedürfnis zu ſein; aber er wählt ſih ſeine Geſellſchaft. Dem Gatten gegenüber beweiſt er unwandelbare Treue; gegen ſeine Kinder bekundet er die wärmſte Zärtlichkeit; gegen ſeine Art-, Sippſchaſts- und Familienverwandten legt er eine gewiſſe Hochachtung an den Tag. Demungeachtet kommt es vor, daß ſich Kraniche in Sachen der Minne während des Zuges oder gelegentlih anderer Zuſammenkünfte erzürnen und wütend bekämpfen. Man hat beobachtet, daß mehrere über einen