Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 2/3

114 Siebente- Ordnung: Suchvögel; dritte Familie: Möwen.

noch regelmäßig während ihres Zuges. Fn Südeuropa verweilt ſie jahraus jahrein; unſere Breiten verläßt ſie im Oktober und November, um den Winter in den Mittelmeerländern zuzubringen. Gegen die Eisſchmelze kehrt ſie zurü>, in günſtigen Fahren bereits ün März, ſonſt in den erſten Tagen des April. Die älteren Paare haben ſchon in der Winterherberge ihre Ehe geſchloſſen und treffen gemeinſchaftlih am Brutplaße ein; die jüngeren ſcheinen ſih hier erſt zu vereinigen, und die noh niht brutfähigen ſ<hweifen im Lande umher. Das Meer beſuchen ſie nur während des Winters; denn ſelten kommt es vor, daß ſie auf einer JFnſel nahe der Küſte brüten. Süße Gewäſſer, die von Feldern umgeben ſind, bilden ihre liebſten Wohnſiße.

Jhre Bewegungen ſind im höchſten Grade anmutig, gewandt und leiht. Sie geht raſh und anhaltend, oft ſtundenlang dem Pflüger folgend oder ſi<h auf den Wieſen oder Feldern mit Kerbtierfange beſchäftigend, ſ<hwimmt höchſt zierlih, wenn au< nicht gerade raſch, und fliegt ſanft, gewandt, gleichſam behaglich, jedenfalls ohne ſihtlihe Anſtrengung, unter den mannigfaltigſten Shwenkungen durch die Luft. Man muß ſie einen vorſichtigen und etwas mißtrauiſchen Vogel nennen; gleichwohl ſiedelt ſie fich gern in unmittelbarer Nähe des Menſchen an, vergewiſſert ſi<h von deſſen Geſinnungen und rihtet danach ihr Benehmen ein. Fn allen Ortſchaften, welche nahe an ihren Brutgewäſſern oder am Meere liegen, lernt man ſie als halben Hausvogel kennen: ſie treibt ſi< hier ſorglos vor, ja unter den Menſchen umher, weil ſie weiß, daß niemand ihr etwas zuleide thut; aber ſie nimmt jede Mißhandlung, welche ihr zugefügt wird, ſehr übel und vergißt eine ihr angethane Unbill ſo leicht niht wieder. Mit ihresgleichen lebt ſie im beſten Einvernehmen, obgleich auch bei ihr Neid und Freßgier vorherrſhende Züge des Weſens ſind; mit anderen Vögeln dagegen verkehrt ſie niht gern, meidet daher ſo viel wie mögli<h deren Geſellſchaft und greift diejenigen, welche ſih ihr nahen, mit vereinten Kräften an. Da, wo ſie mit-anderen Möwenarten die nämliche Fnſel bewohnt, fällt ſie über die Verwandten, die ſih ihrem Gebiete nähern, grimmig her, wird aber auh anderſeits in ähnlicher Weiſe empfangen. Raubvögel, Raben und Krähen, Reiher, Störche, Enten und ſonſtige unſchuldige Waſſerbewohner gelten in ihren Augen ebenfalls als Feinde. Die Stimme iſt ſo mißlautend, daß der Name Seekrähe durch ſie erklärlih wird. Ein kreiſhendes „Kriäh“ iſt der Lo>ton; die Unterhaltungslaute klingen wie „fet“ oder „ſcherr“; der Auëdru> der Wut iſt ein freiſchendes „Kerre>e>e>“ oder ein heiſeres „Girr“, auf welches das „Kriäh“ zu folgen pflegt.

Kerbtiere und kleine Fiſchchen bilden wohl die Hauptnahrung der Lahmöwe; eine Maus jedo<h wird auh niht verſhmäht und ein Aas nicht unberüdſichtigt gelaſſen. Fhre Jungen füttert ſie faſt nur mit Kerbtieren groß. Ungeachtet ihrer Schwäche wagt ſie ſi< an ziemlih große Tiere, zerkleinert auh geſchi>t größere Fleiſhmaſſen in mundgerechte Brocken. Obſchon ſie Pflanzenſtoffe verſ<mäht, gewöhnt ſie ſi<h do< bald an Brot und frißt es “mit der Zeit ungemein gern. Jhre Jagd betreibt ſie während des ganzen Tages, da ſie abwechſelnd ruht, abwechſelnd wieder umherſ<hwärmt. Von einem Binnengewäſſer aus fliegt ſie auf Feld und Wieſen hinaus, folgt dem Pflüger ſtundenlang, um Engerlinge aufzuleſen, ſtreicht diht über dem Graſe oder dem Waſſer hin, um Kerbtiere und Fiſche zu erbeuten, und erhaſcht überall etwas, kehrt dann zum Waſſer zurü>, um hier zu trinken und ſih zu baden, verdaut währenddem und beginnt einen neuen Jagdzug. Beim Ab- und Zufliegen pflegt ſie beſtimmte Straßen einzuhalten, aber bald dieſe, bald jene Gegend. zu beſuchen.

Ende April beginnt das Brutgeſchäft, nachdem die Paare unter vielem Zanken und Plärren ſi über die Niſtplätze geeinigt haben. Niemals brütet die Lahmöwe einzeln, ſelten in kleinen Geſellſchaften, gewöhnlih in ſehr bedeutenden Scharen, in ſolchen von Hunderten und Tauſenden, die ſi< auf einem kleinen Raume möglichſt diht zuſammendrängen.