Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 2/3

214 Zehnte Ordnung: Stoßvögel; erſte Familie: Falkenvögel.

auf dem Falkenhandſhuhe. Dabei wird dem gefangenen die Müßze immer abgenommen, und er gewöhnt ſich ſehr bald an den Handſchuh und ſelbſt an Bewegungen des Armes. Die Nahrung, die ihm ziemlih ſpärlih gereiht wird, beſteht vorzüglih aus Herz und Leber. Der Falkner ſuht nun ſeinen Schüler zuerſt in der Kammer und ſpäter im Freien, zuerſt natürlich gefeſſelt, nah und nah auf größere Entfernungen nach Abnehmen der Kappe auf den Handſchuh zu lo>en, ſet ihm die Kappe aber unmittelbar nach der Fütterung gleih wieder auf. Endlich bedient man ſi der Langfeſſel und einer ausgebalgten Gazelle, deren Augenhöhlen mit Abung gefüllt ſind.“

Das Verfahren der indiſchen Falkner und die Jagd ſelbſt ſchildert Jerdon in ſehr lebendiger Weiſe: „Fn verſchiedenen Gegenden des Landes wird der während des Winters regelmäßig ſich einfindende Wanderfalke abgerichtet. Man fängt ihn an der Küſte und verfauft ihn für 2—10 Rupien an die eigentlichen Falkner, die ihn dann auf Neiher, Störche, Kraniche, Klaffſhnäbel, Fbiſſe, Nimmerſatts und au< wohl auf Trappen abrichten. Hierbei muß ich bemerken, daß die Meinung, der Reiher verſuche bei ſolcher Jagd den Falken mit ſeinem Schnabel zu durchbohren, von den eingeborenen Falknern, von welchen viele weit mehr Erfahrungen geſammelt haben als irgend ein Europäer, vollſtändig beſtätigt wird. Selbſt wenn der Falke die Beute ſhon zu Boden geworfen hat, iſt er zuweilen no in Gefahr, von dem mächtigen Schuabel des Neihers verlegt zu werden, falls ex den Na>en ſeiner Beute niht mit einem Fange gepa>t hat, was ein alter Vogel freilich immer zu thun pflegt. Wenn der Jungfernkranih gejagt wird, hütet ſi< der Wanderfalke gar wohl vor den ſcharfen, gekrümmten inneren Nagel des Kranichs, der böſe Wunden hervorrufen kann. Faſt no< höher als der Wanderfalke wird von den Fndern der „Schahin“ oder Königsfalke (Falco peregrinator) geſägt; ihn hält man für den vorzüglihſten von allen. Er wird alljährli<h maſſenhaft gefangen und zwar auf dünnen Rohrſtäben, die man mit Vogelleim beſtrichen und durch einen kleinen Vogel geködert hat. Dieſer Falke wird beſonders für die Jagd abgerichtet, die in der Falknerſprache „auf ſtehendes Wild‘ genannt wird, d. h. er wird nicht von der Hand nach der Beute geworfen, ſondern ſchwebt hoch in der Luft und beſchreibt über dem Falkner ſo lange ſeine Kreiſe, bis das zu jagende Wild aufgeſcheuct iſt. Dann ſtürzt er mit erſtaunlicher Eile hernieder und auf das erſchre>te Tier los. Es iſt in dev That ein wundervolles Schauſpiel, den Vogel zu beobachten, wenn er auf ein Nebhuhn oder einen Trappen ſtößt, die {hon in ziemliche Entfernung entflohen ſind. Sobald der Falke die Beute wahrnimmt, die aufgeſheucht worden iſt, ſtößt er zwei- oder dreimal nah unten und ſchießt dann mit halbgeſchloſſenen Flügeln ſchief herab, gerade auf das erſchre>te Wild los, und zwar mit größerer Schnelligkeit als ein vom Bogen abgeſchnellter Pfeil. Dieſe Art zu jagen iſt wirklich eine ſehr ſichere, aber, obgleich bedeutend erfreulicher als die Jagd mit kurzflügeligen Falken, doh nicht zu vergleichen mit der Jagd des Wanderfalken, den man’ von der Hand nah dem Reiher oder dem Nimmerſatt wirft.“

Nach dieſen einleitenden Bemerkungen mögen die befannteſten und wichtigſten Arten der Gattung an uns vorüberziehen.

Das edelſte Glied der Gattung iſt der Jagdfalke/- ein Bewohner des hohen Nordens der Erde. Jhn kennzeichnet die ſehr bedeutende Größe, der verhältnismäßig ſtarke, in \harfem Bogen gekrümmte Schnabel, die bis zu zwei Drittel der Länge befiederten Fußwurzeln und der im Vergleiche zu den Flügeln lange Shwanz. Jn allem übrigen iſt er anderen Edelfalfken durchaus ähnli; nicht einmal das wiederholt hervorgehobene Merkmal, daß ſein Gefieder im Alter weiß wird, iſt ſtichhaltig.

Noch ſind die Forſcher, trot der allerſorgfältigſten Unterſuchung, darüber niht einig, ob wir ‘neben ihm noh eine, zwei oder ſelbſt drei verſchiedene Jagdfalkenarten annehmen