Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 2/3

228 Zehnte Ordnung: Stoßvögel; erſte Familie: Falkenvögel.

Wanderfalke dem herankommenden Jäger vorſichtig aus; in größeren Städten hingegen kümmert ihn das Getriebe unter ihm nicht im geringſten, und er bekundet dann nicht ſelten eine Dreiſtigkeit, die mit ſeinem ſonſtigen Verhalten, abgeſehen von ſeinem Benehmen angeſichts einer ihm winkenden Beute, in auffallendem Widerſpruche ſteht. Noch mehr aber erſtaunt man, ihn in Nordoſtafrika, namentlih in Ägypten, unbeſorgt mitten in Dörfern auf wenigen Palmen oder einer den Marktplaß beſhattenden Sykomore, auf Tempeltrümmern, Häuſern und Taubenſchlägen ſißen und von hier aus ſeine Raubzüge unternehmen zu ſehen. Man erkennt hieraus, daß ſein Betragen ſich immer und überall nah den Verhältniſſen richtet, daß er Erfahrungen ſammelt und verwertet.

Es ſcheint, daß der Wanderfalke nur Vögel frißt. Er iſt der Schre>en aller gefiederten Geſchöpfe, von der Wildgans an bis zur Lerche herab. Unter Nebhühnern und Tauben rihtet er die ärgſten Verheerungen an; die Enten verfolgt er mit unermüdlicher Ausdauer, und ſelbſt den wehrhaften Krähen iſt er ein furhtbarer Feind: ex nährt ſih oft wochenlang ausſcließli< von ihnen. Nach Art ſeiner nähſten Verwandtſchaſt raubt er für gewöhnlich nux fliegendes Wild, ſolange ſi dieſes in der Luft bewegt. Auf Bäumen ſißende Vögel ergreift er ohne Umſtände, nicht ſo aber ſolche, welche auf dem Boden liegen oder auf dem Waſſer ſhwimmen ; das Aufnehmen einer Beute unter ſolhen Umſtänden verurſacht ihm mindeſtens beinahe unüberwindliche Schwierigkeiten, gefährdet ihn infolge ſeines ungeſtümen und jähen Fluges wohl auch in bedenkliher Weiſe. „Der Wanderfalke“, ſhreibt mir E. von Homeyer auf Grund ſeiner langjährigen Beobachtungen, „iſt gänzlih außer ſtande, einen Vogel vom Boden oder vom Waſſer aufzunehmen. Wo man dies geſehen haben will, hat man ſi< dur< mangelhafte Beobachtung täuſchen laſſen, indem ein dur< den auf ihn ſtoßenden Falken erſhre>ter Vogel einen unbeſonnenen Flugverſuch wagte, ſich etwas vom Boden oder vom Waſſer erhob und nun ſofort vom Falken erfaßt wurde. Einmal habe ih in einer Entfernung von 200 Schritt einen Wanderfalken auf eine am Boden liegende Taube wohl 50mal, immer aber vergebens ſtoßen ſehen. Ein anderes Mal ſtand ih am Kleinen Haff bei Ü>ermünde im Rohre verſte>t, als ein Wanderfalke, einen Alpenſtrandläufer verfolgend, auf mich zuflog. Ungefähr 40 Schritt von mix warf ſih der Strandläufer auf das ganz ruhige Waſſer. Der Wanderfalke ſtieß fortwährend auf den freiliegenden Strandläufer, aber immer darüber hinweg. Endlich wurde ihm die Jagd wohl langweilig, und er flog davon. Alsbald erhob ſi< auch der Strandläufer, nah der entgegengeſeßten Richtung fliegend; in wenigen Sekunden jedo< war der Falke wieder zur Stelle, und der Strandläufer warf ſih wiederum auf das Waſſer. Noch einige vergebliche Stöße des Falken, und die Jagd hatte ein Ende. Einen dritten Fall beobachtete ih auf einer Fahrt von Stralſund nach Hiddensoe bei ſ{hönem, ſonnigem Wetter, als das Boot von dem fehr {wachen Winde nur äußerſt langſam bewegt wurde, die See auch ſehr ruhig war. Ein Wanderfalke kam, eine Hohltaube verfolgend, in die größte Nähe der Taube, als dieſe ſih auf das Waſſer hinabwarf, und der Falke dur fortwährende heftige Stöße ſie aufzuſhre>en ſuhte. Dies gelang ihm jedo< niht, ſondern die Taube lag feſt auf dem Waſſer. Endlih entfernte ſih der Falke; allein wie bei dem vorerwähnten Falle, ſo auh hier: die Taube war zu eilig bemüht, ſi< von dem gefährlichen Feinde zu entfernen. Sobald ſie ſi jedoch vom Waſſer erhob, war der Falke wieder in der Nähe, und die Taube flüchtete ſi<h no<mals auf das Waſſer. So dauerte dieſe Jagd fort, ſo lange ih von dem allmählih ſi entfernenden Boote noh etwas ſehen konnte. Dies beſtätigte mir von neuem, daß der Wanderfalke außer ſtande iſt, ein Tier vom Waſſer aufzunehmen, und daß dies, wer es auh zu ſehen geglaubt haben mag, nur beim Auffliegen eines Vogels geſehen kann.“

F< will nach dieſen beſtimmten Angaben des ausgezeihneten Beobachters gern für möglich halten, daß auh ih mich getäuſcht habe, indem ih deutlich zu ſehen glaubte, wie