Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 2/3

Kleinwanderfalke. Schahin. Schwarzbackenfalke. Berberfalke. DOT

hinab. Ob er in Braſilien vorkommt, weiß ih nicht; wohl aber kann ih mit Beſtimmtheit behaupten, daß er den Golf von Mexiko überfliegt. Seiner außerordentlichen Wanderfähigfeit find Reiſen von 1000 km gewiſſermaßen Spazierflüge: ih bin feſt überzeugt, daß er, ohne ſih anzuſtrengen, im Laufe eines einzigen Tages über das Mittelmeer fliegt.

Bei uns zu Lande bewohnt der Wanderfalke ausgedehnte Waldungen, am liebſten ſolche, in deren Mitte ſich ſteile Felswände erheben. Ebenſo häufig trifft man ihn im waldloſen Gebirge, und gar nicht ſelten endlich ſieht man ihn inmitten großer, volkbelebter Städte. Auf den Kirchtürmen Berlins, auf dem Stephansturme in Wien, auf den Domen von Köln und Aachen habe ih ihn ſelbſt als mehr oder weniger regelmäßigen Bewohner beobachtet, daß er auf anderen hohen Gebäuden ſogar ſtändig vorkommen ſoll, dur< glaubwürdige Beobachter erfahren. Jn Berlin ſieht man ihn keineswegs bloß im Winter, ſondern ſehr häufig au< im Sommer, und wenn man bis jeßt, meines Wiſſens, ſeinen Horſt noh nicht auf einem der höheren Türme aufgefunden hat, ſo iſt dies doh keineswegs ein Beweis dafür, daß er hier niht brüten ſollte. Beſonders günſtige Örtlichkeiten, namentlich unerſteigliche Felſenwände, beherbergen ihn mit derſelben Regelmäßigkeit wie die nordiſhen Bogelberge den Jagdfalken. So trägt der Falkenſtein im Thüringer Walde ſeinen Namen mit Fug und Recht; denn auf ihm horſtet ein Wanderfalkenpaar ſeit Menſchengedenken. Aber weder Bäume noch Felſen noh hohe Gebäude ſind zu ſeinem Wohlbefinden notwendige Bedingung. Keineswegs ſeltener, eher no< häufiger als bei uns zu Lande begegnet man ihm, wie bereits bemerkt, in der Tundra. Fn Lappland habe ich ihn allerdings nicht oft geſehen, um ſo öfter aber auf meiner leßten Reiſe in Nordweſtſibirien beobachtet. Fn der Tundra der Samojedenhalbinſel fehlen ihm Felſenwände, wie er ſonſt ſie liebt, faſt gänzlich; gleichwohl findet ex auch hier Örtlichkeiten, die ihm zur Anlage des Horſtes geeignet erſcheinen, und iſt deshalb regelmäßiger Sommergaſt des unwirtſamen, für ihn aber wirtlichen Gebietes.

„Der Wanderfalke“, ſagt Naumann, „iſ ein mutiger, ſtarker und äußerſt gewandter Vogel; ſein kräftiger Körperbau und ſein blißendes Auge bekunden dies auf den erſten Anbli>. Die Erfahrung lehrt uns, daß er nicht vergeblich von der Natur mit ſo furctbaren Waffen ausgerüſtet ward, und daß er in deren Gebrauch ſeinen nahen Verwandten, dem Jagd- und Würgfalken, rühmlichſt an die Seite zu ſeßen ſei. Sein Flug iſt äußerſt \hnell, mit haſtigen Flügelſchlägen, ſehr ſelten ſ<hwimmend, meiſt niedrig über die Erde hinſtreihend. Wenn er ſi< vom Boden aufſhwingt, breitet er den Shwanz aus und fliegt, ehe er ſi in die Höhe hebt, erſt eine kleine Stre>e dicht über der Erde hin. Nur im Frühjahre ſhwingt ex ſih zuweilen zu einer unermeßlichen Höhe in die Luft. Er iſt ſehr {heu und ſo vorſihtig, daß er zur nächtlichen Ruhe meiſt nur die Nadelholzwälder aufſucht. Hat er dieſe niht in der Nähe, ſo bleibt ex öfters lieber im freien Felde, auf einem Steine ſißen, und es gehört unter die ſeltenen Fälle, wenn er einmal in einem kleinen Laubholze übernachtet. Aus Vorſicht geht er au< in leßterem des Abends erſt. ſehr ſpät zur Ruhe und wählt dazu die dihten Äſte hoher alter Bäume; in einem größeren übernachtet er gern auf einzelnen in jungen Schlägen ſtehen gebliebenen alten Bäumen, und - hier kommt er au< ſ{<hon mit Untergang der Sonne, meiſt mit di> angefülltem Kropfe an. Am Tage ſet er ſi<h ungern auf Bäume. Sigzend zieht er den Hals ſehr ein, ſo daß der runde Kopf auf den Schultern zu ſtehen ſcheint; die weiße Kehle mit den abſtehenden {warzen Backen, machen ihn von weitem kenntli<h. Fm Fluge zeihnet er ſih dur den ſhlanken Gliederbau, den {malen Schwanz und dur ſeine langen, {malen und ſpizigen Flügel vor anderen aus. Seine Stimme iſt ſtar und ‘volltöónend, wie die Silben: „kgiak kgiak“ oder Tajak kajal“. Man hört ſie aber außer der Begattungszeit eben nicht oft.“ Naumanns Angabe über die Scheu und Vorſicht des Wanderfalken gilt wohl für unſere Waldungen,

niht aber für alle übrigen Verhältniſſe. Auch in der menſchenleeren Tundra weicht der 15*