Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 2/3

Merlin. Turmfalke. 249

Raubvögeln werden ſie dur eifriges Verfolgen oft recht läſtig, und den Uhu ärgern ſie nach Herzensluſt. Selbſt gegen den Menſchen legen ſie zuweilen einen bewunderungswürdigen Mut an den Tag. Sie ſind frühzeitig munter und gehen erſt ſpät zur Ruhe; man ſieht ſie oft no< in der Dämmerung des Abends umherſ<hweben. Jhr Geſchrei iſt ein helles fröhliches „Kli kli Uli“, das verſchieden betont wird, je nachdem es Angſt oder Freude ausdrücken ſoll. Jm Zorne kichern ſie. Fe nah den Umſtänden ändern ſie ihr Betragen dem Menſchen gegenüber. Bei uns ſind ſie ziemlih ſcheu und wenn ſie ſih verfolgt wiſſen, ſogar äußerſt vorſichtig; im Süden leben ſie mit dem Menſchen auf dem beſten Fuße, und zumal der eigentliche Rötelfalke ſcheut ſih niht vor ihm, deſſen Wohnung ja auch zu der ſeinigen werden muß. Jn der Gefangenſchaft werden ſie bald ſehr zahm, und wenn ſie gute Behandlung erfahren, danken ſie ihrem Gebieter ſolche dur<h wahre Anhänglichkeit. Sie laſſen ſi leicht zum Ein- und Ausfliegen gewöhnen, achten auf den Ruf, begrüßen ihren Brotherrn mit freudigem Geſchrei und legen ihre Zuneigung auh noh in anderer Weiſe an den Tag.

Wirklich anziehend wird das Winterleben unſerer Vögel. Auch ſie ſammeln ſih auf der Reiſe zu Geſellſchaften, und dieſe halten zuſammen, ſolange der Aufenthalt in der Fremde währt. Durch Ferdon und andere indiſhe Vogelkundige erfahren wir, daß die beiden europäiſchen Arten gewöhnliche Wintergäſte Südaſiens ſind; ih habe ſie, zu großen Flügen vereinigt, während unſerer Wintermonate im Fnneren Afrikas angetroffen. Unbekümmert um ihre Artverwandten, die in Ägypten leben und dort jahraus jahrein wohnen bleiben, wandern ſie bis tief in die Gleicherländer hinein und erwählen ſih hier in den Steppen oder Urwaldungen geeignete Stellen zu ihrem Aufenthalte. Bedingung zu längerem Bleiben iſt reihlihe Nahrung; deshalb findet man ſie regelmäßig da, wo die Wanderheuſhre>e maſſenhaft auftritt. Wer niht ſelbſt die Schwärme dieſer Kerbtiere geſehen, macht ſich keinen Begriff davon. Es gibt Waldſtre>en, in welhen man nächſt den Stämmen und Äſten der Bäume nichts anderes als Heuſchre>en ſieht. Aufgeſcheuht verdunkelt die gefräßige Geſellſchaft die Luft. Sehr bald finden ſih bei den Heuſchre>ken aber auch die Verfolger ein und unter allen zuerſt unſere Rötelfalken. Hunderte von ihnen ſißen regungslos auf den höchſten Spißen der Mimoſen oder \<weben, rütteln und gleiten in wechſel: vollem, niht ermüdendem Fluge über der ſhwarzgrauen Schar umher. Solange die Heuſhre>en an den Zweigen hängen, verwehren die langen Stacheln und Dornen der Bäume den flinken Räubern, hinabzuſtürzen unter die Kerbtierwolke; ſobald die Heuſhre>en ſih aber erheben, eilen die Falken herbei, jagen durch die dichteſten Scharen hindurch und ergreifen mit gewandter Klaue eins der ſhädlihen Tiere. Es wehrt ſih und beißt mit den ſcharfen Freßzangen in die beſchildeten Läufe ſeines Feindes; doch dieſer iſt ſtärker. Ein Biß mit dem kräftigen Schnabel zermalmt den Kopf der Heuſchre>e, und der Sieger beginnt nun ſofort, ſie zu verzehren. Ohne Zeit zu verlieren, reißt er ihr die Flügel aus, zerbricht die dürren Springfüße und ſpeiſt den le>eren Fraß in der Luft, in welcher er ſih ſhwebend zu erhalten weiß. Binnen 2 Minuten hat der geübte Jäger eine Heuſchre>e gefangen, zerrupft und verzehrt, und von neuem eilt er wieder unter die noh niht zur Ruhe getommenen Schwärme, um ſi<h no< eins oder zwei ihrer Mitglieder zu rauben. Dieſes Schauſpiel hatte für uns ſtets etwas ſo Anziehendes, daß wir es uns niht verdrießen ließen, die Heuſhre>en durh Schütteln aufzuſcheuchen, und die Falken bewieſen ſich inſofern dankbar, als ſie unmittelbar vor unſeren Augen ihren Fang betrieben. Auffallend war es uns übrigens, daß die Heuſchre>en ihren Hauptfeind wohl zu kennen ſchienen. Die Schwärme weichen im Fluge auseinander, wenn ſi einer der Vögel jählings unter ſie ſtürzt.

Schon dieſe Angabe genügt, den niedlichen Raubvögeln unſere Zuneigung zu ſichern. Sie wirken aber während ihres Sommerlebens in ebenſo erſprießliher Weiſe wie im fernen