Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 2/3

256 Zehnte Ordnung: Stoßvögel; erſte Familie: Falkenvögel.

Eine bemerkenswerte Beobachtung über einen gefangenen Turmfalken veröffentlicht Wüſtnei. Der aus dem Neſte gefallene, faſt erwachſene Falke verlor, wie üblich, bald jegliche Scheu, nahm das dargebotene Futter aus der Hand, liebte es aber niht, wenn jemand ſeinen Mahlzeiten zuſah, und gab ſeine Beſorgnis dadurch zu erkennen, daß er mit ausgebreiteten Flügeln und vorgebeugtem Körper das Fleiſchſtück zu bede>en ſuchte und dabei fortwährend Töne des Unwillens ausſtieß. Dieſes Mißtrauen, das ſeinen Grund in Ne>ereien gehabt haben mote, ſteigerte ſih ſofort zur größten Erbitterung, wenn ihm ein Spiegel vorgehalten wurde und er darin einen ſeinesgleichen erbli>te, der ihm alſo wohl no< gefährlich erſchien. Er ging dann ſofort angreifend vor, beſtritt ſein eignes Jh mit S<hnabel und Fängen und wiederholte dieſe Angriffe immer wieder von neuem, ſo ohnmächtig die Hiebe von der glatten Spiegelfläche au<h abprallten. Als er auh einmal ſeine Kräfte vergebli<h erſhöpft hatte und zur Einſicht gelangt war, daß er das Hindernis das ihn von ſeinem Feinde trennte, niht dur<dringen konnte, kam ihm der Gedanke, den vermeintlichen Feind von ſeinem eigentlichen Plate anzugreifen, und er begab ſich plößlih hinter den Spiegel. Vergnüglih war es, ſeine deutlih ausgedrücte Verwunderung zu beobahten! Seine Aufregung verwandelte ſi plößlich in ſtarre Ruhe, das Geſchrei verſtummte, und unbeweglih mit vorgeſtre>tem Kopfe betrachtete er das leere Nichts. Geraume Zeit verharrte er in dieſer Stellung, dann ſtieß er wiederum ein heftiges Geſchrei aus, gleihſam, um den irgendwo vermuteten Gegner herauszufordern. Eine Drehung des Spiegels belehrte ihn, daß dieſer no< niht ganz verſhwunden ſein könnte, und erregte ſeine Erbitterung wieder von neuem. Da ihm durch den Spiegel ſeine Mahlzeit mehrmals etwas verleidet worden war, ſo blieb dieſer für ihn ſtets ein ſo verdähtiger Gegenſtand, daß er ſofort in die größte Aufregung geriet und ein lautes Geſchrei ausſtieß, wenn man Miene machte, den Spiegel von der Wand zu holen und ſi< au< nur in deſſen Nähe begab.“

Jn Südeuropa geſellt ſi<h dem Turmfalken der ihm ſehr nahe verwandte, ſ<hönere NRötelfalke (Falco cenchris, tinnunculoides, tinnuncularius und xanthonyx, Tinnuncenlnus cenchris, Erythropus cenchris, Cerchneis cenchris, paradoxa und ruficanuda). Seine Länge beträgt 32, die Breite 68, die Fittichlänge 26, die Shwanzlänge 14 ecm; das Weibchen iſ um 2 ecm länger und um 5 em breiter. Beim alten Männchen ſind der Kopf, die großen Flügelde>federn, die Hinterſhwingen und der Shwanz bläulich aſchgrau, die Federn des Nü>ens ziegelrot ohne alle Fle>en, Bruſt und Bauch gelbrötlich mit ſehr kleinen Schaſtflecken, die oft kaum ſichtbar ſind, die Shwanzfedern ebenfalls am Ende dur eine ſchwarze Binde geziert. Das Auge, der Schnabel und der Fuß ſind wie beim Turmfalken gefärbt, die Krallen aber niht ſ{<hwarz, ſondern gelblihweiß. Das Weibchen iſt dem Turmfalkenweibchen ſehr ähnlih, aber lihter und an dem weißbläulihen Schwanze ſowie an den lihten Krallen leiht zu unterſcheiden. Die Jungen ähneln der Mutter.

Eüdeuropa, Spanien und ſeine Fnſeln, Malta, Süditalien, vor allem aber Griechenland und die weiter nah Oſten hin gelegenen Länder ſind die wahre Heimat des Nötelfalken. Jn Süd- und Mittelſpanien, auf Sicilien und in Griechenland iſt er gemein, in der Türkei etwas ſeltener, aber doh überall verbreitet, in den ſüdruſſiſchen, ſibiriſhen und turkiſtaniſchen Steppen neben dem Rotfußfalken der häufigſte aller dort vorkommenden Raubvögel. Die für Turkiſtan geltenden Angaben Sarudnois werden jedo< von Alſred Walter niht beſtätigt; er ſagt vielmehr, daß Sarudnoi ſih geirrt und wahrſcheinli<h den Turmfalken für den Rötelfalken angeſehen habe. Nah Norden hin erſtre>t ſih ſein Verbreitungsgebiet niht weit über die Grenzen der angegebenen Länder hinaus. Die Pyrenäen und die Alpen überfliegt er ſelten, dringt jedoch, nah einer Beobachtung von Hueber, im Oſten der

leßteren von Jahr zu Fahr weiter vor und hat ſich infolgedeſſen nicht allein in Krain, ſondern