Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 2/3

258 Zehnte Ordnung: Stoßvögel; erſte Familie: Falkenvögel,

und ſüdlichen Europa entbehren muß. Jn Spanien werden von ihm größere Städte, z. B. Madrid, Sevilla, Granada, in Griechenland außerdem Dorſſchaften in den Ebenen, zumal ſolche, welche in der Nähe von Gewäſſern liegen, allen übrigen Örtlichkeiten vorgezogen. Er erſcheint in Spanien wie in Griechenland in der leßten Hälfte des März, in Perſien kaum früher, in den Steppen Weſtſibiriens dagegen erſt Ende April oder Anfang Mai, unmittelbar na< der Schneeſchmelze und dem Eisgange der Flüſſe, deren Thäler auh ihm zur Heerſtraße werden, verweilt während des Sommers in ſeiner Heimat und wandert bereits im Auguſt, ſpäteſtens Ende September weg.

Lebensweiſe, Weſen und Gebaren ſind ein treues Spiegelbild des Auftretens unſeres Turmfalken, ähneln aber doh no<h mehr dem Thun und Treiben des Notfußfalken, mit welchem er den innigſten Verkehr pflegt. Jh muß, da ih leßteren ausführlicher zu ſchildern gedenke, auf deſſen Lebensſchilderung verweiſen und kann deshalb an dieſer Stelle nur ſagen, daß der Nötelfalke unbedingt zu den anmutigſten Erſcheinungen zählt, die ſeine geſamte Familie aufweiſt. Dank ſeiner Geſelligkeit und ſeines friedlihen Verkehres mit Rotfuß- und ebenſo mit Turmfalken ſieht man nur ausnalhmsweiſe einmal ein Pärchen dieſer ebenſo farbenſhönen wie fluggewandten und unermüdlichen Falken, in der Negel immer Geſellſchaften, die gemeinſchaſtlih nah einem Nahrung verſprechenden Orte fliegen, gemeinſchaftlih zum nächtlichen Ruheplaßze wandern und gemeinſchaftli<h horſten.

Um die Akropolis in Athen und die Kirchtürme Madrids habe ih ſie ihre prächtigen Flugreigen ausführen ſehen, und wenn i<h während meines Aufenthaltes in Granada ſie als Bewohner des viel beſungenen Maurenſchloſſes vermiſſen mußte, war dies nur aus dem Grunde der Fall, weil ih mi<h zur Winterszeit daſelbſt aufhielt: im Sommer umſhwärmen ſie auh hier maſſenhaft tie prachtvolle Feſte. -Aber ſie binden ſi<h keineswegs, wie unſer Turmfalke in der Regel zu thun pflegt, an beſonders hervorragende Gebäude, ſondern nehmen mit der kleinſten Lehmhütte vorlieb. Denn ungeachtet der Mordſucht der Spanier, Ftaliener und Griechen denkt im Süden Europas niemand daran, ſie grundſäßlih zu verfolgen, und in den Augen der Türken und Ruſſen gelten ſie geradezu als unverleblihe Vögel. Man hat im Morgenlande wie in Südrußland ihre Nüßlichkeit wohl erkannt. Dort ſieht man fie als einen vom Himmel geſandten Helfer in der Heuſchre>ennot an, hier erfreut man ſich außerdem an ihrem Vorhandenſein, ihrer munteren Beweglichkeit und betrachtet ſie dankbar als Bürgen des Lebens in der einſamen Steppe, läßt ſi<h wenigſtens gern durch ſie unterhalten, wenn man zu Pferde oder Wagen das weite Gebiet durchzieht, beim Näherfommen ſie von ihren Ruheſißen und Warten aufſheuht und weiter und weiter vor ſich hertreibt. Fn no< höherem Grade als der Turmfalke ſind ſie Kerbtierfreſſer und wohl die am exfolgreihſt wirkenden tieriſhen Feinde des verderblichen Gezüchtes. Eine Maus, ein junges, unbeholfenes Vögelchen, eine Eidechſe werden ſie gewiß auch nicht verſ<hmähen, wenn ſie ihnen in den Wurf kommen; im allgemeinen aber teilen ſie mehr mit dem Rotfuß- als mit dem Turmfalken dieſelbe Nahrung.

Die Brutzeit des Rötelfalken fällt, wenigſtens in Griechenland und Spanien, in die lezten Tage des April oder in die erſten des Mai. Der Horſt ſteht hier wie dort regelmäßig in Mauerlöchern oder Höhlungen unter den Dächern der Häuſer, gleichviel, ob ſolche bewohnt ſind oder niht. Manche Gebäude enthalten mehrere Horſte, alte Ruinen zuweilen viele. Jn Athen ſah ih ſie niht allein auf der Akropolis mit dem Horſtbaue beſchäftigt, ſondern au< auf allen geeigneten Häuſern ſißen oder zu den unter deren Dächern angebrachten Horſten fliegen; in Spanien lernte ich ſie als Bewohner der Türme kennen. Fn den übrigen Ländern ihres Verbreitungsgebietes horſten ſie da, wo es ihnen an Gebäuden mangelt, auf Felſen oder in Baumhöhlungen und zwar nicht ſelten in Geſell|chaſt der Turmfalken. Es nimmt daher wunder, dur<h Hueber zu erfahren, daß der Rötelfalke in Kärnten