Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 2/3

Kaiſeradler: Aufenthalt. Weſen. Fortpflanzung. 279

den Donautiefländern, beiſpiel8weiſe in der Dobrudſcha, und daher bekundet er hier ebendieſelbe, nah ſeinen bisher gemachten Erfahrungen auch durchaus berechtigte Vertrauensſeligkeit. Hat er dagegen einmal Verfolgungen erleiden müſſen, ſo handelt er dem entſprechend. Jn ſeiner Haltung wie im Fluge habe ih zwiſchen ihm und ſeinem größeren Verwandten erhebliche Unterſchiede nicht aufzufinden vermocht, und niemals bin ih dur ihn mehr an einen Schreiadler als an einen Steinadler erinnert worden. Ganz richtig iſt, daß er mehr auf kleineres Wild jagt als der leßtgenannte, und für wahrſcheinlih halte ich, daß er in den Steppen, wo ihm der häufige Zieſel ſo reichliche und bequeme Nahrung bietet, ſich ſelten, vielleicht nie, an wehrhaften Tieren vergreift: vollkommen überzeugt aber bin ih, daß er, wenn der Hunger ihn bewegt, verhältnismäßig ebenſo mutig verfahren wird wie irgend ein anderes Mitglied ſeiner Familie. Jhn, weil er am Horſte den Menſchen nicht immer angreift, weil er ſih ferner gefallen läßt, daß die Krähen ihn verfolgen, er auch auf das Aas fällt, einen „unedlen Freſſer“ zu nennen und ihn als niht viel mehr denn einen großen Milan hinzuſtellen, wie Hume es gethan, finde ih in keiner Weiſe gerehtfertigt; denn dasſelbe, was Hume hervorhebt, fann auch von dem Steinadler geſagt werden. Wie verſchiedene Beobachtungen erweiſen, jagt er auf alles ſeiner Größe angemeſſene Wild, das er ereilen und bewältigen zu können glaubt, vom Haſen oder Steppenmurmeltiere an bis zur Maus und vom halb erwachſenen Pfau oder Trappen bis zum Sperlinge. Der große, dem des Steinadlers im weſentlichen ähnelnde Horſt des Kaiſeradlers ſteht überall da, wo es Väume gibt, auf ſolchen, gleichviel, welche Höhe ſie haben mögen, in der Steppe dagegen regelmäßiger auf dem flachen Boden und im Gebirge hier und da auh wohl in der Niſche oder auf dem Geſimſe einer Felſenwand. Fn den Steppen ſüdlih vom Ural wie in der Dobrudſcha findet man den Horſt oft in nächſter Nähe der Ortſchaften auf den ſie umgebenden Väumen, insbeſondere auf Pappeln, Eſpen und Weiden, in Ungarn und Südrußland meiſt in kleinen Gehölzen, in Griechenland, Macedonien und Kleinaſien ebenſo in Waldungen wie im Gebirge auf Felſen. Ein Horſt, den Huddleſtone beſchreibt, ſtand auf einem gekappten Baume niht höher als 3 m über dem Boden, hatte ungefähr 1,6 m Durchmeſſer, war aus verſchiedenen di>en Knüppeln und Steen zuſammengetragen und zeigte eine äußerſt flache, innen mit Wolle ausgekleidete Mulde; andere, die Farman unterſuchte, waren wenig mehr als ein großes, flaches Bauwerk von 1,3 Ww im Durhmeſſer, 50—70 em Höhe und darüber, beſtanden aus grobem Reiſig und waren innen und rings um die flahe Mulde mit dünnen Zweigen, tro>enem Graſe, Wolle, Feten und dergleichen mehr oder minder ſauber ausgelegt. Die fünf Horſte, die Kronprinz Erzherzog Rudolf von Öſterrei und Prinz Leopold von Bayern in Südungarn ſahen, ſtanden zumeiſt in den mittleren Wipfelzweigen von Eichen und unterſchieden ſi, ſoweit von unten aus wahrgenommen werden konnte, niht weſentlih von denen der in Ungarn horſtenden Seeadler, waren auh wie dieſe in ihren unteren Teilen ſamt und ſonders von Feldſperlingen in Beſiß genommen worden und ziemli< ſtark bevölkert. Wahrſcheinlih brütet auh jedes Kaiſeradlerpaar, wenigſtens ſolange es niht geſtört wird, alljährlich in demſelben Horſte. Man bemerkt, daß es dieſen ſofort nah ſeiner Nückkehr im Frühjahre bezieht und gegen alle Vögel, welche ſich ſeiner bemächtigen wollen oder nur in die Nähe kommen, mutvoll verteidigt. Während der ganzen Brutzeit befindet ſi, laut Farman, der männliche Kaiſeradler beſtändig auf der Wacht, entweder anmutige Kreiſe über dem Horſte beſchreibend, oder in deſſen Nähe auf einem bena<barten Baume ſizend, fliegt beim geringſlen Anſchein von Gefahr ab und warnt das Weibchen durch einen rauhen, frächzenden Laut, worauf dieſes den Horſt verläßt und mit ſeinem Gatten zu kreiſen beginnt. Naht ſi ein anderer Kaiſeradler oder Raubvogel überhaupt, ſo tritt ihm das Männchen augenbli>lih entgegen und kämpft mit ihm auf Tod und Leben.