Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 2/3

280 Zehnte Ordnung: Stoßvögel; erſte Familie: Falkenvögel.

Farmans Aufmerkſamkeit wurde einmal dur das laute Krächzen und heiſere Schreien auf zwei dieſer Art gelenkt, die eben einen ihrer ernſten Zweikämpfe in einer Höhe von etwa 100 m über dem Boden ausfohten. Mindeſtens 20 Minuten währte das -Kampfſpiel. Es begann damit, daß beide Kämpen in einer gewiſſen Entfernung umeinander kreiſten; hierauf ging bald der eine, bald der andere zum Angriffe über, indem er mit aller Kraft auf den Gegner ſtieß. Dieſer aber wih in der gewandteſten Weiſe dem Stoße aus und wurde nun ſeinerſeits zum Angreifer. So währte der Kampf geraume Zeit fort. Beide trennten ſi hierauf bis zu einer gewiſſen Entfernung; einer kehrte plößlih zurüd> und ſtieß wiederum in vollſter Wut auf den verhaßten Feind, der jeßt unter lautem Geſchrei auch ſeinerſeits die Waffen gebrauchte. Schnabel, Fänge und Schwingen waren in gleicher Weiſe in Thätigkeit, und beide Adler bewegten ſi ſo raſh und heftig, daß der Beobachter nihts weiter als. eine dur die Luft rollende, verwirrte, jeder Beſchreibung ſpottende Federmaſſe zu ſehen vermochte. Zuletzt \{<lugen beide ihre Fänge gegenſeitig ſo feſt ineinander, daß ſie die Flügel niht mehr gebrauchen konnten und taumelnd um. 30 oder 40 m tief herabſtürzten, worauf ſie die Waffen löſten und \ſih wiederum für furze Zeit trennten. Damit hatte der erſte Gang ſein Ende erreicht. Der zweite begann in ähnlicher Weiſe wie jener, indem dann und wann einer der Vögel einen Scheinangriff auf ‘den anderen verſuchte. Bald aber änderten ſie die Kampfweiſe, und jeder beſtrebte ſich, indem beide in engen Ringen umeinander kreiſten, den Gegner zu überſteigen, bis dies dem einen wirkli< gelungen war und er nun mit voller Wucht ſi< hinabſtürzen konnte. Der Angegriffene warf ſih augenbli>lih auf den Rücken und empfing ſeinen Feind mit ausgeſtre>ten Fängen. Beide verkrallten ſih wiederum ineinander, wirbelten über 100 m abwärts und trennten ſih, nahe über dem Boden angekommen, von neuem. S9 wütete der Kampf weiter, bis es endlih dem einen glü>te, ſeinen tapferen Gegner nah einem mähtigen Stoße in einer Höhe von etwa 100 m über dem Boden zu paten. Dieſer empfing ſeinen Feind mannhaft, ſ<lug ihm ſeine Fänge ebenfalls in den Leib und nunmehr ſtürzten beide in {hwerem Falle, kaum 10 m von dem Beobachter entfernt, wirkli ¿um Boden nieder. Farman ſprang vom Pferde, um die edlen Kämpen zu fangen; dieſe aber ließen nun voneinander ab und entflohen nach verſchiedenen Seiten hin. Blutlachen auf dem Boden bewieſen zur Genüge, wie ernſthaft gekämpft worden war.

Jn den erſten Tagen des April, meiſt am 7. oder 8., in Rußland und Sibirien um einen Monat ſpäter, pflegt das aus 2, höhſtens 3 Eiern beſtehende Gelege vollzählig zu ſein. Die in Größe, Form und Färbung merkli<h abändernden Eier ſind regelmäßig Éleiner als die des Steinadlers, 70—82 mm lang, 54—60 mm di> und auf weißem Grunde mit ziemlich dicht ſtehenden, über das ganze Ei zerſtreuten, violettgrünen, blaß purpurroten oder blaß lihtbraunen Punkten und Fle>en gezeichnet, auh wohl fle>Œenlos. Dem Weibchen fällt, wie üblich, der Hauptteil am Brutgeſchäfte zu; doch beteiligt ſih au< das Männchen hieran, um der Gattin Gelegenheit zu geben, nah eigner Wahl ſi< Raub zu holen. Zuweilen verlaſſen beide Eltern den Horſt, obwohl er noch Eier enthält, gleichzeitig auf längere Zeit. Zurückkehrend, nahen ſie ſih dem Horſte ſtets mit Vorſicht, kreiſen nicht erſt über ihm, ſondern fliegen raſh herbei und werfen ſi ohne Aufenthalt ſogleih in das Neſt. Schheucht man ſie auf, ſo fliegen ſie einem niht allzuweit entfernten Baume zu, auf welchem der nicht brütende Gatte des Paares zu ruhen pflegt, verharren hier geraume Zeit und wenden ſi< dem Horſte wieder zu, wenn fie glauben, daß die Störung vorübergegangen iſt. Die Zungen, die nach etwa einen Monat währender Brutzeit, in Ungarn in den erſten Tagen des Mai, dem Eie entſhlüpfen, tragen wie die Verwandten ein dites, weißes Daunenkleid, werden von beiden Eltern in der beim Steinadler beſchriebenen Weiſe aufgeaßt und ſind etwa um die Mitte des Juli, im Norden des Verbreitungsgebietes verhältnismäßig ſpäter, flugfähig.