Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 2/3

Kaiſeradler: Fortpflanzung. Kämpfe. Zähmbarkeit. 281

Entſprechend ſeiner weit geringeren Scheu, iſt der Kaiſeradler in den meiſten Fällen viel leichter zu érlegen als der Steinadler. Sehr alte erfahrene Vögel pflegen jedo< immer vorſichtig zu ſein und verurſahen dem Jäger oft niht geringere Schwierigkeiten als irgend ein anderer ihrer Verwandten. Sie verlangen wie alle Adler einen außerordentlich ſtarken Schuß; denn nur ein ſolcher verleßt ſie tödlich, bethätigen auch eine Lebenszähigkeit,/ die geradezu in Erſtaunen ſeßt. Ein Kaiſeradler, den mein verſtorbener Freund Herkloß pflegte, war dur einen Jagdliebhaber mittels eines Schrotſchuſſes erlegt worden und gelangte als vermeintliche Leiche in den Beſiß eines Arztes, um au3geſtopft zu werden. Länger als 2 Tage lag der durch den Kopf geſchoſſene Vogel unter einem Kaſten, und erſt, als hier ein Geräuſh hörbar wurde, lenkte ſih die Auſmerkſamkeit des Arztes ihm wieder zu. Man bemerkte nun, daß der Totgeglaubte ſih aufgerafft hatte und die unzweideutigſten Beweiſe ſeiner Luſt äußerte, noh länger im irdiſhen Jammerthale zu verweilen. Der tierfreundliche Arzt erbarmte ſih als Gerechter ſeines Viehes, und der Vogel blieb leben. Jnfolge der Kopfverleßung war ex auf beiden Augen erblindet und vollkommen gleichgültig gegen äußere Einflüſſe, bewegte ſih aus eignem Antriebe nicht, nahm durchaus kein Futter zu ſi, gli mit einem Worte in ſeinem ganzen Weſen auf ein Haar folchen Vögeln, welchen auf künſtlihe Weiſe das Gehirn genommen wurde. Regungslos ſaß er auf einem Baumſtoe, und weder Sonne, Licht, Regen noh Sturm ſchienen irgendwelche Wirkung auf ihn zu äußern. Willenlos nur trat er mit den Füßen auf einen anderen Plaß, wenn er durch äußere Gewalt hierzu gezwungen wurde. Um zu beobachten, wie lange der ſo {<wer verwundete Vogel am Leben bleiben würde, gab ſi< mein Freund die Mühe, ihn mit Fleiſch: ſtü>chen zu ſtopfen. Über ein volles Fahr lang lebte der Vogel in dieſer Weiſe fort; nah Ablauf angegebener Friſt aber bemerkte Herkloß, daß er doh einigermaßen anfing, auf die Umgebung zu aten. Anſcheinend begann der Sinn des Gehörs ſih zuerſt wieder zu entwi>eln; denn er bemerkte an dem Geräuſche der Schritte die Ankunft ſeines Pflegers und fing an, ſi aus eignem Antriebe zu bewegen, wenn jener ſih nahete, ſpreizte die Flügel, ſchüttelte die Federn, kurz, gebärdete ſi< wie ein aus tiefem Schlafe Erwachter. Nach und nah wurden ſeine Bewegungen freier und kräftiger; aber no< immer mußte er künſtlich ernährt werden. Da endlih, nah Ablauf von 4 Fahren, begann ex ſelbſt wieder zu freſſen, und nunmehr ließ er auch zu niht geringer Überraſchung ſeines treuen Pflegers das dieſem wohlbekannte „Kau kau“, die gewöhnlihe Stimme unſeres Adlers, vernehmen. Nah Ablauf von 6 weiteren Monaten glich er bis auf die erblindeten Augen vollkommen einem anderen ſeines Geſchlechtes.

Jung dem Neſte entnommene Kaiſeradler werden ebenſo zahm, laſſen ſih auch abtragen, leiſten jedoh, wie Kirgiſen und Mongolen einſtimmig verſichern, bei weitem nicht dieſelben Dienſte wie die Steinadler. „Fn meinen Knabenjahren“, ſchreibt mir Graf Läzár, „hielt ih einen Kaiſeradler längere Zeit lebend. Jm Anfange vergriff er ſih zuweilen an unſeren Hühnern; na<hdem er aber deshalb einige Gertenhiebe erhalten hatte, hütete er ſih wohl, ſeine Streiche zu wiederholen. Er lief zuleßt frei im Hofe und Garten umher, ohne eins unſerer Haustiere zu gefährden. Mich kannte er ſehr gut, kam mindeſtens ſogleih, wenn ih ihn bei feinem Namen „Pluto“ rief, zu mir heran. Fremde und Hunde dagegen mochte er niht leiden; erſtere griff er an, wenn ſie ſih ihm näherten, und die Hunde ſuchte er ſih ſtets vom Leibe zu halten. Seine Angriffe auf Menſchen waren niht gefährlich, aber doch ſehr fühlbar. Er gebrauchte nämlich ſeine Krallen nur in der unſchädlichſten Weiſe, teilte dafür aber Flügelhiebe aus, die ſtets blaue Fle>en hervorriefen. Sein Ende fand er auf betrübende Weiſe. Er war in den Garten eines Bauers geflogen und mochte dort irgend einen Streich ausgeſührt haben, wofür der Bauer ihn derb gezüchtigt hatte. Traurig kam er nah Hauſe, nahm von Stunde an keine Nahrung mehr an und verendete am 10. Tage. Bei